Mikrobenzirkus

Keine Panik vor Bazille, Virus & Co


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Haben Bakterien Sex?

Liebe Freunde und Freundinnen des Mikrobenzirkus,

widmen wir uns doch einmal dem delikaten Thema der Fortpflanzung bei Mikroben? Diese durchaus berechtigte Frage bekomme ich von Schülerinnen und Schülern oft gestellt…

Habt ihr euch auch schon einmal gefragt, was eine „alleinstehende“ Bakterie eigentlich so den ganzen Tag lang tut?

Sie ist vor allem damit beschäftigt, genügend Energie und Materie zu sammeln, um sich immer wieder durch Teilung zu verdoppeln. Fortpflanzung ist das Lieblingsthema der Winzlinge: Mikroorganismen sind unglaublich vermehrungsfreudig, und das bringt ihnen große Vorteile bei der Eroberung neuer Lebensräume.


Aus z.B. einer Escherichia coli-Zelle (kennt ihr sicher aus dem Schwimmbad im Sommer) können unter Idealbedingungen innerhalb von 20 Minuten zwei Zellen werden. Die Rekordhalter unter den Mikroben bringen in knapp zehn Minuten eine neue Generation von Nachkommen hervor. Dazu gehört auch Clostridium perfringens, der unangenehme Erreger des Wundbrandes. Bei ausreichenden Nährstoffzufuhr ist eine Bakterienzelle in der Lage, an einem einzigen Tag 280 Milliarden Nachkommen zu produzieren, berichtet der belgische Biochemiker und Nobelpreisträger Christian Duve. Eine menschliche Zelle ist dagegen langsam wie eine Schnecke – sie schafft in der gleichen Zeit gerade mal eine Zellteilung.

Niemand ist perfekt, auch nicht Bakterien, und so passiert bei einer von einer Million Zellteilungen auch einmal eine „Fehlproduktion“ – eine sogenannte Mutante.

Oft hat diese Zelle einfach Pech gehabt – Experimente gehen nicht immer gut aus. Aber manchmal, wenn die Bakterien mit einem nützlichen Vorzug ausgestattet sind, beispielsweise einen neuen Nährstoff verwerten zu können, geschieht etwas anderes, was ihnen in der Evolution einen unglaublichen Vorteil verschafft: Die Bakterien können diese Informationen und Fähigkeiten untereinander austauschen, von Zelle zu Zelle, und sogar über Artgrenzen hinweg werden diese Stückchen genetischer Information übertragen. Ein bisschen so wie beim Austauschen von Pokémon-Karten.

Dass Bakterien auf diese Art auch Sex haben können, ist seit etwa 70 Jahren bekannt – wenn wir den Begriff „Sex“ weit genug fassen. 2001 haben amerikanische Forschende Bakterienzellen mit Hamsterzellen in flagranti erwischt: Die Bakterien hatten Teile ihres Erbguts auf die Tierzellen übertragen, indem sie Eigenschaften über den sogenannten „horizontalen Gentransfer“ austauschten.

Illustration: Isabell Klett

Viele Bakterien enthalten neben ihrem herkömmlichen ringförmigen Chromosom noch weitere kleine DNA-Ringe, die „Plasmide“ genannt werden. Darauf befinden sich häufig Anlagen für Fähigkeiten, die unter besonderen Umweltbedingungen Vorteile bieten – zum Beispiel für Antibiotika-Resistenzen.

Um diese Eigenschaften weitergeben zu können, haben Bakterien eine ganz clevere Technik entwickelt: Beim Kontakt mit einer anderen Bakterienzelle können sie das Plasmid verdoppeln, einen schlauchartigen Fortsatz – die „Sex-Pili“ (ja das heißt wirklich so) – bilden und darüber die Plasmid-DNA übertragen. Dieser „rohrpostartige“ Vorgang heißt auch ganz unromantisch „Konjugation“.

So können Bakterien Daten austauschen und schwimmen damit sozusagen in einer Art gemeinsamen Genpool. Jeder Anpassungsvorteil, der gerade sinnvoll erscheint, kann sich überallhin ausbreiten.

Stellt euch das in der Bakterienrealität einmal so vor: Ihr steht vor einem großen Fluss und bräuchtet ein Paar Flügel, um ihn zu überqueren. Dann fragt ihr schnell mal bei der entfernten Verwandtschaft an, und zack! Könntet ihr fliegen oder grün leuchten oder sogar Fotosynthese betreiben.
Damit sind die Bakterien aus genetischer Sicht ein kommunizierender Riesenorganismus – winzig klein, sehr schnell und damit unbesiegbar.

Übrigens:

Seit einiger Zeit gibt es bei mir ein paar neue Formate:

Die Sonntagsfrage aus dem Mikrobenzirkus

auf meinen Social Media-Profilen als Community-Aktion z.B. auf Instagram Sonntagsfrage und ihr könnt dort gern miträtseln.

Neue Autorinnen-Kolumne „Thieles Mikrobenzirkus“

Wenn ihr auch für meine Autorinnentätigkeit, aktuelle Schreibprojekte und Termine von Lesungen interessiert, dann abonniert gern meine Autorinnen-Kolumne „Thieles Mikrobenzirkus“ auf Steady unter dem Link zur Anmeldung.

Selber ein Sachbuch schreiben? Let Me Edutain-You! – Sachbuchwerkstatt

Wenn ihr euch selbst für das Schreiben und ganz speziell von populärwissenschaftlichen Sachbüchern und Ratgebern interessiert, kommt sehr gern in meine neue Sachbuch-Community “Let me edutain you!”.

Hier bekommt ihr regelmäßig Einblicke und Tipps aus meiner eigenen Sachbuchwerkstatt und könnt an monatlichen virtuellen Treffen zum Austausch teilnehmen und Schwung in eure eigenen Projekte bringen. Wir sind eine nette Truppe angehender und schon publizierter Sachbuchautor:innen.

Herzliche Grüße aus dem Mikrobenzirkus

Eure/Ihre

Susanne Thiele


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Schöne Ostern ohne Bauchschmerzen

Frohe Ostern (Shutterstock)

Liebe Mikrobenzirkusfreunde und -freundinnen,

kein Osterfest ohne bunte Eier. Es macht Spaß, die Eier gemeinsam mit Kindern zu färben und zu bemalen. Selbst meine große Tochter, lässt sich noch verführen…
Um die Eier kreativ zu gestalten und an Zweige zu hängen, werden sie vorher ausgepustet. Kann man durch das Ausblasen roher Eier wirklich krank werden und Magengrummeln bekommen? Ich habe euch einen älteren Artikel aus aktuellem Anlass aktualisiert.

Warum keine Eierkartons für die Osterbastelaktion

Da sammeln die Großeltern und Eltern extra die Eierkartons für dien Kindergarten und dann dürfen sie nicht mit mitgebracht werden. Was früher noch absolut normal war, ist heute mittlerweile verboten aus gesundheitlichen Gründen. Die Verbraucherzentralen warnen vor Kontaminationen der Eierverpackungen mit Erregern, die von Hühner ausgeschieden werden. (Gilt übrigens gilt auch für menschliche Darmkeime bei den allseits „verbastelbaren“ Toilettenpapierrollen). Das Kartons lassen sich kaum reinigen und deshalb besteht ein Infektionsrisiko.

Durchfall und Bauchschmerzen durch Infektionen

Was viele Eltern unterschätzen: Das Ei ist ein Naturprodukt, das genauso, wie es aus dem Huhn kommt, bei uns auf dem Tisch steht. Und so ein Ei geht eben zuerst seinen biologischen Weg durch einen ganzen Hühnerkörper, bis es gelegt wird. An den Eierschalen und im Inneren der Eier können gefährliche Krankheitserreger sitzen – die Salmonellen.


Das sind Bakterien, die bei Menschen verschiedene Krankheiten im Magen–Darm-Bereich verursachen können. Nach dem Verzehr oder dem Kontakt mit den Eiern kann es zu Fieber, Durchfall, Übelkeit und Erbrechen kommen. Besonders gefährdet sind Babys, Kleinkinder, Senioren und Menschen, die aufgrund einer Vorerkrankung bereits ein geschwächtes Immunsystem haben. Die Angst vor den Krankheitserregern scheint aber neuerdings oft unbegründet zu sein, denn die Erreger sitzen seltener auf den rohen Eiern.

Seltener Salmonellen auf Eiern

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Frische Eier (Pixabay)

Im Jahre 2003 setzte die EU ein Programm auf, das die Salmonellen bekämpfen sollte. Und tatsächlich sind diese Erreger auf Hühnereiern dadurch viel seltener geworden. Laut Bundesamt für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit sind weniger als ein Prozent aller Eier mit Salmonellen belastet – ohne Unterschiede zwischen Bio und Nicht-Bio. Das heißt die gefährlichen Krankheitserreger wurden weder auf den Schalen noch in den Dottern nachgewiesen. Der Vergangenheit gehören die Salmonellen deshalb aber noch längst nicht an. Den Angaben zufolge wurden sie bei Untersuchungen in anderen Bundesländern immer wieder mal nachgewiesen.

Tipps zum Eierausblasen:

Wer zu Ostern rohe Eier ausblasen möchte, sollte also trotzdem auf Nummer sicher gehen und ein paar Hinweise beachten.

  • Nur frische Eier verwenden.
  • Unbeschädigte Eier aussuchen. Durch Risse und Defekte können Keime eindringen und sich vermehren.
  • Die Eier vor dem Ausbladen mit Wasser und Spülmittel abwaschen.
  • Zum Ausblasen einen dünnen Strohhalm verwenden, wahlweise eine Einwegspritze oder einen Miniblasebalg aus der Drogerie oder dem Bastelgeschäft verwenden.
  • Nach dem Ausblasen das Ei mit Wasser und Spülmittel durchspülen.

Wer das ausgeblasene Eigelb und Eiweiß noch essen möchte, sollte es bald zu Rührei und Co verarbeiten. Bis dahin sollte das rohe Ei bei einer Temperatur von unter sechs Grad Celsius gekühlt werden. Dann haben Keime kaum eine Chance, sich zu vermehren.

Selbst färben mit Pflanzenfarben

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Färben mit Pflanzenfarben (Pixabay)

Wer mag kann seine Ostereier auch mit selbst hergestellten Pflanzenfarben einfärben. Zum Färben müssen die Pflanzen in einem halben Liter Wasser 10 Minuten gekocht werden. Anschließend die gekochten Eier etwa eine halbe Stunde in den Sud legen und zum Schluss mit einem Küchentuch Speiseöl auf die trockene Eierschale reiben. Dann glänzen sie wie Speck.

Farbvariationen:

  • Zwiebelschalen: Eine Handvoll ergibt braungelb bis goldbraune Eier
  • Kurkuma: Ein paar Teelöffel färben die Eier gelb
  • Matetee: Die Eier werden lindgrün im Aufguss
  • Rotkohl und Rote Beete: zaubert rote bis lilafarbene Eier
  • Weitere Pflanze Preiselbeeren(rosa), Holundersaft (bläulich) oder Kamillenblüten (gelb)

Kleine Geschichte des Ostereis

Der Ursprung des Ostereis ist nicht eindeutig geklärt. Es ist als Symbol des Lebens, der Reinheit und der Erneuerung.

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Henne im Stall (Pixabay CC0)

In früheren Zeiten wurden die Ostereier der Frühlingsgöttin Ostara zum Opfer gebracht. Schon im 4. Jahrhundert wurden sie als Grabbeigabe in römisch-germanischen Gräbern gefunden. In der christlichen Tradition, die in Deutschland erstmals im frühen 13. Jahrhundert schriftlich erwähnt wurde, steht das Ei für die Auferstehung Jesu. Außen unscheinbar und tot, trägt es doch potenzielles Leben in sich. Die traditionelle Farbe für das Ei in der westlichen Welt ist seit dem 13. Jahrhundert Rot (Roteier), als die Farbe des Blutes Christi, des Lebens, der Lebensfreude. In Osteuropa gelten goldfarbene Eier als Zeichen der Kostbarkeit.

Es ist sehr wahrscheinlich, dass das Osterei auch aus praktischen Gründen populär geworden ist. Seit dem Mittelalter war während der Fastenzeit auch der Verzehr von Eiern verboten. Gleichzeitig legten die Hennen aber im Frühling mehr Eier.

Der Eierüberschuss wurde verwertet, gekocht und haltbar gemacht. In vielen Regionen wurde der Pachtzins damit beglichen. Die übriggebliebenen Eier wurden am Karsamstag traditionell eingefärbt und zum Weihen mit in die Kirche genommen. Diese Eier wurden dann als Geschenke verteilt oder auch später versteckt.

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Frohe Ostern (Pixabay CC0)

Der Osterhase als Eierlieferant hat sich erst in den letzten Jahrzehnten durchgesetzt. In anderen Regionen brachten auch andere Tiere wie Fuchs, Kuckuck, oder der Storch die Ostereier.

Dann wünsche ich euch viele bunte und gesunde Ostereier!

Eure Susanne Thiele


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„Zombiviren“ aus dem Permafrost?

Liebe Mikroben-Fans,

Anfang des Jahres schwappte die Schlagzeile „Arctic zombie viruses in Sibiria could spark terrifying new pandemic, scientists warn“ aus der Londoner Sonntagszeitung The ObserverHealth in die deutschen Medien, die mich als Mikrobiologin natürlich aufhorchen ließ, weil sie so gut zum Thema unseres aktuellen Science-Thrillers „TOXIN“ passte, den ich als Koautorin mit Kathrin Lange veröffentlich habe.

Der Genetiker Jean-Michael Claverie von der Universität Aix-Marseille warnte davor, dass uralte Viren, die im Permafrostboden in der Arktis-Region eingefroren sind, eines Tages durch die Erwärmung des Erdklimas freigesetzt und einen großen Krankheitsausbruch auslösen könnten. Diese Viren schlummern dort seit zehntausenden von Jahren in Überesten von Mammuts und Säbelzahntigern und könnten Tieren und Menschen heute immer noch gefährlich werden. Sie könnten sogar eine Pandemie auslösen – nicht durch eine für die Wissenschaft neue Krankheit, sondern durch Erreger aus der fernen Vergangenheit.

Das klingt nach Science-Fiction?

Wie gefährlich sind die “Zombieviren” oder andere Erreger aus dem tauenden Eis wirklich? Nehmen wir das Thema etwas auseinander…und vor allem die reißerische Bezeichnung Zombievirus in einer Überschrift. So etwas „liebe“ ich ja als Pressefrau am Helmholtz-Zentrum für Infektionsforschung besonders…;-)

Zu allererst eine gute Nachricht: Die sogenannten “Zombieviren” haben ihren Namen nicht deshalb, weil sie uns Menschen in Zombies verwandeln könnten. Diese „Methusalem-Viren“ sind selbst die Untoten, die seit prähistorischen Zeiten im Eis überdauern und wieder zum Leben erwachen können. Sie schlummern gut gekühlt im ewigen Eis und Gletschern, die man auch als Permafrost bezeichnet.


Natürliche Kühlschränke als Zeitkapseln

Permafrostböden kann man sich vorstellen, wie eine riesige, natürliche und dazu luftsichere Gefriertruhe. Ein Viertel der Landfläche der Nordhalbkugel ist dauerhaft gefroren, dazu gehören Alaska, Nordkanada, der Norden Europas und weite Teile Sibiriens. Sogar in Deutschland gibt es einen Ort an dem alpiner Permafrost vorkommt: die Zugspitze.
Namensgebend für diese Dauerfrostböden ist die Tatsache, dass die Temperaturen des Bodens in mindestens zwei aufeinanderfolgenden Jahren unter null Grad Celsius liegt. Wie Beton stabilisiert der Permafrost den Untergrund – bis circa 1,6 Kilometer reicht der Dauerfrost zum Beispiel in Sibirien ins Erdinnere. Der perfekte Ort zum Konservieren, kalt, frei von Sauerstoff und Licht.

BU: Permafrost in Alaska (Shutterstock)


In Permafrostböden sind deshalb gigantische Mengen organischen Materials, hauptsächlich abgestorbene Pflanzenreste eingeschlossen – aber auch beispielsweise noch ganze Mammuts zu finden – nicht nur in Form von Knochen, sondern komplett – mit konservierten Haaren, Gewebe und Blut.

Mumifizierte Karibus wie in unserem Sciencethriller „Toxin“ oder dieses kleine Mammut (42.000 Jahre alt) im Permafrostboden in Sibirien sind gar nicht so selten…

Schaut mal vorbei beim spannenden Insta-Account der Geologin Katherine Parsons unter kati.digs.dinos.


Das ewige Eis taut

Viele der arktischen Eisschichten bestehen schon seit der letzten Eiszeit. Taut es, drohen Felsstürze, Schlammlawinen, Gletscher lösen sich auf, Gebäude, Eisenbahnstrecken, Landepisten und Straßen verlieren ihren Halt und sacken ab. Thermokarst nennt man diese Verformungen im Gefolge des Auftauens. 2023 war das wärmste Jahr der bisherigen Messgeschichte.

Durch steigende Temperaturen und Hitzewellen im Sommer infolge des Klimawandels taut der Permafrostboden auf. Die bislang eingefrorenen Mikroorganismen z.B. Bakterien und Viren werden aktiv und fangen an, sich das organische Material auf diesem „reich gedeckten Büffet“ zu zersetzen. Dabei gelangen Treibhausgase wie Lachgas, Methan und Kohlendoxid in die Atmosphäre.
Wenn der Klimawandel weiterhin so rasant voranschreitet und die Erderwärmung nicht auf ein Minimum begrenzt werden kann, könnten 75 Prozent der Permafrostböden noch in diesem Jahrhundert verschwinden – laut Experten vom Alfred-Wegener-Institut Bremerhaven. Dann erwachen uralte Bakterien und Viren aus ihrem Dornröschenschlaf…


Jahrtausende alte Mikroorganismen noch funktionsfähig

Ein realer Vorfall aus dem Jahre 2016 setzte damals unsere Thriller-Idee für „TOXIN“ in Gang. In einem heißen Sommer gab der Permafrost auf der Jamal-Halbinsel in Nordsibirien mit Anthrax verseuchte Rentierkadaver frei, die bei einer historischen Milzbrandseuche um 1945 eingegangen waren. Ein zwölfjähriger Junge verstarb an der Krankheit, mehr als 70 Menschen kamen in eine Klinik und mehr als 200.000 Rentiere mussten getötet werden.

Wie real ist nun die Gefahr, dass der Klimawandel der Menschheit Krankheiten wiederbringt, die längst ausgerottet schienen?

Analysen von Bohrkernen, von Fossilien und deren DNA brachten schon eine ganze Reihe urzeitlicher Viren, Bakterien und andere Kleinstlebewesen ans Tageslicht. Forschende haben schon knapp 50.000 Jahre alte Viren aus dem Permafrost „wiederbelebt“ oder 24.000 Jahre alte Rädertierchen aufgeweckt. Zuletzt wurden auch 14.000 Jahre alte Fadenwürmern „reanimiert“.

Jahrtausende alte Viren können sogar noch infektiös sein.
Der im „Observer“ genannte Wissenschaftler Jean-Michel Claverie ist kein unbekannter „Virenjäger“ im ewigen Eis. Er hat selbst mit seinem Forschungsteam um Jean-Marie Alempic im Jahr 2014 zum ersten Mal lebende Viren aus dem Permafrost Sibiriens freigelegt und gezeigt, dass sie immer noch einzellige Organismen infizieren können. Das waren zwar nur Amöben, die infiziert wurden, „das heißt aber nicht, dass andere Viren, die im Permafrost eingefroren sind, nicht möglicherweise Krankheiten bei Menschen auslösen könnten“, so Claverie im Observer.

Pocken- und Herpesviren

Eine weitere Studie des französischen Teams zu 13 unbekannten Viren aus dem Eis folgte in einer Prepint*-Studie auf bioRxiv (Vorab-Studie, noch ohne wissenschaftliches Begutachtungsverfahren einer Fachzeitschrift) unter Beteiligung des AWI in Bremerhaven. Darunter Spuren von Pocken- und Herpesviren. Die älteste Probe war fast 48.500 Jahre alt und trägt den Namen Pandoravirus yedoma und ist so groß, dass man es schon mit einem normalen Lichtmikroskop nachweisen kann. Insgesamt ist die Forschungslage aber noch etwas dünn.

BU: Ein koloriertes Elektronenmikroskop-Bild eines Pandoravirus, eines Riesenvirus, das im sibirischen Permafrost gefunden wurde.
Image courtesy of Chantal Abergel / Jean-Michel Claverie] Created by Digital Micrograph, Gatan Inc.

Noch etwas höher ist die Gefahr bei Erregern, die schon Menschen infiziert haben und jetzt mit aufgetauten menschlichen Leichen aus dem Permafrost wiederauftauchen. Beispielhaft seien hier Viren der Spanischen Grippe genannt, die man bei einer verstorbenen Frau einer indigenen Volksgruppe fand, die einhundert Jahre in einem Massengrab in einem abgelegenen Inuit-Dorf in der Nähe der Brevig Mission lag.

„Das Szenario, dass ein unbekanntes Virus, welches einst einen Neandertaler infiziert hat, zurückkehrt, ist zu einer realen, wenn auch unwahrscheinlichen Möglichkeit geworden.”

(Jean-Michel Claverie, Universität Aix-Marseille)

Das Problem, was Claverie hier sieht: Wenn sich ein Virus lange Zeit im Eis verbirgt, mit dem wir seit Tausenden von Jahren nicht in Berührung gekommen sind, könnte es sein, dass unsere Immunabwehr nicht ausreicht. Denn die Strukturen solch alter Viren ähnelt keiner, wären, wie die Covid-19-Pandemie gezeigt hat.

Bakterien überdauern den Tiefschlaf im Eis besser

Widerstandsfähiger und damit potenziell gefährlicher als Viren aus dem ewigen Eis sind bakterielle Erreger. Bestimmte Bakterien, wie, der im Thriller „TOXIN“ verwendete Milzbranderreger Bacillus anthracis, können mit ihren Sporen im Boden überdauern. Wissenschaftler*innen entdeckten in Jakutien im Norden Sibiriens Mikroorganismen in Schichten, die sie auf ein Alter von mehr als drei Millionen Jahren schätzten. Diesen bakteriellen Erregern kann man allerdings mit heutigen Antibiotika meist gut Einhalt gebieten.

BU: Milzbranderreger Bacillus anthracis verursacht auch Hautläsionen als Hautmilzbrand (Shutterstock)


Gefahren durch Minen, Ölbohrungen und Schiffsverkehr

Eine Gefahr sehen die Forschenden eher von einer ganz anderen Seit: das Verschwinden des arktischen Meereises und des Permafrostes verändern die Landnutzung, führen zu mehr Schifffahrt und dem Bau von Minen und Ölbohrungen. Und dies wäre nicht das erste Mal, dass Epidemien so ausgelöst werden, wenn Menschen in vorher unbesiedelte Gebiete vordringen, so Marion Koopmann, Virologin am Medical Center in Rotterdam.

Gemeinsam mit anderen Wissenschaftler*innen arbeiten die Forscher deshalb an einem Überwachungsnetzwerk und Quarantäneeinrichtungen. So sollen schon sehr früh Fälle von Infektionen bemerkt, vor Ort behandelt und sofort eingedämmt werden.
So wäre man am besten auf die Möglichkeit neu auftretender Krankheiten vorbereitet. Einig sind sich die Expertenkreise auch darüber, dass noch weitere Forschung nötig ist, um herauszufinden, welche potenziellen Gefahren sich noch im ewigen Eis im Tiefschlaf befinden. Buchstäblich auf Eis gelegt sind leider auch einige Forschungsprojekte in Sibirien aufgrund des russischen Angriffskrieges.

Eine Möglichkeit existiert noch, um die Risiken zu minimieren und alle Probleme wie eine Wunderwaffe auf einmal lösen: nämlich die Klimaerwärmung schnellstens einzudämmen.


Für die interessierten Leser*innen von TOXIN hier noch ein besonderer Tipp:

Der im Thriller erwähnte Permafrosttunnel in Fairbanks, in zwei der Protagonisten (Gereon und Airi) ihren verloren gegangene Anthrax-Stamm wiederentdecken, existiert auch in der Realität. Der Fox-Permafrost-Tunnel ist ein Relikt des Kalten Krieges, wurde 1963 als Eisbunker gebaut und untersteht noch heute der Armeeabteilung Cold Regions Research and Engineering Laboratory (CRREL), die dort wissenschaftliche Studien zum schwindenden Permafrost durchführt. Im Tunnel kann man in den geführten Besuchertouren durch die gefrorenen Schichten sozusagen bis ins Pleistozän hinabsteigen. Man findet hier Reste von Mammuts, Karibus, Gräsern, über 30.000 Jahre alte Bakterien – eine Reise in die Zeitgeschichte der Erde. Spannend!

Und ihr könnt das hier gleich virtuell erleben unter folgendem Link in den Link:

Permafrost- Tunnel- Projekt: Webseite und virtuelle Tour sind zu finden unter:

https://virtualice.byrd.osu.edu/permafrost/


Service-Hinweis zum Buch bestellen – deutschlandweit und versandkostenfrei

TOXIN und auch PROBE 12 könnt ihr bei Interesse bei Graff der Buchhandlung meines Vertrauens in Braunschweig bestellen unter: Toxin bestellen

Das war es für heute!

Ich wünsche euch einen tollen Rest-Februar…ab und zu riecht es schon nach Frühling…

Schreibt mir gerne! Ich freue mich wie immer über eure Kommentare, über Anregungen oder auch Aufreger ;-)!

PS: Wenn euch dieser Newsletter zusagt, empfehlt ihn sehr gerne an weitere Mikrobenfreunde weiter über diesen Link zur Anmeldung.

Viele Grüße aus dem Mikrobenzirkus

Eure Susanne


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Stromleitendes Bakterium Electronema ist „Mikrobe des Jahres 2024“

Liebe Mikrobenzirkus-Community,

ich wünsche euch allen ein gesundes und glückliches 2024! Bleibt gesund und neugierig ;-)…

Wir starten auch gleich traditionell mit der Wahl der Mikrobe des Jahres! In diesem Jahr ist das Kabelbakterium Electronema ausgezeichnet worden, von der Vereinigung für Allgemeine und Angewandte Mikrobiologie (VAAM).

Stromleitende Bakterien: das klingt wie Science Fiction. Doch es gibt sie in der Realität. Kabelbakterien sind eine Gruppe von Bakterien, die erst vor zwölf Jahren in Dänemark entdeckt wurde und sie stellen unser Naturverständnis auf den Kopf.

Die Mikrobe des Jahres 2024, das Kabelbakterium Candidatus Electronema, 10.000fach vergrößert, bildet „Kabelsalat“. Aufnahme: Pia B. Jensen, Aarhus (CC BY 4.0)

Eine Entdeckung und rätselhafte Stromflüsse

Im Jahr 2012 stellte ein Student der Universität Aarhus in Dänemark mit einem Mikroskop fest, dass er auf ein Kabelbakterium blickte, eine mehrere Zentimeter lange Verkettung von Zellen, die wie ein lebendiges Stromkabel in der Lage ist, Strom durch Sedimente am Meeresboden nach oben zu leiten. Seitdem war das Team um Prof. Nielsen damit beschäftigt, mehr über diese neue Lebensform zu erfahren, die unser Verständnis des Elementekreislaufs im Ökosystem sowie viele weitere Annahmen potenziell revolutionieren könnte.

Da die Organismen vorwiegend in sauerstoffarmen Sedimenten vorkommen, haben Kabelbakterien eine besondere Strategie zur Energiegewinnung entwickelt. Sie schließen sich in Gruppen zu langen elektrisch leitfähigen Filamenten zusammen. Diese mikrobiellen Ketten können Strom über mehrere Zentimeter leiten.

Kabelbakterien Candidatus Electrothrix-„Drähte“ auf einem Objektträger im Labor (Foto: L. R. Damgaard & S. Larsen, CC BY4.0).


Zu Beginn wollte Lars Peter Nielsen, Professor für mikrobielle Ökologie in Aarhus, erforschen, was die Ursache für diese Stromflüsse ist, die er in der Bucht von Aarhus entdeckt hatte. Seine Ausgangshypothese – eine in einem Nanodrahtgitter angeordnete Bakteriengemeinschaft – wurde schnell fallen gelassen, als die Kabelbakterien unter der Linse vergrößert wurden. „Plötzlich fügte sich alles zusammen, es war eine Lebensform, deren Existenz sich niemand vorgestellt hatte – ein lebender Organismus, der Strom über größere Entfernungen im Zentimeterbereich leiten kann. Bis dahin war dies lediglich im Nano- oder Mikromaßstab möglich“, sagte Professor Nielsen.

Unter Verwendung von Robotern und eines speziell entwickelten Mikrosensors maß das Team die elektrischen Felder von Kabelbakterien in der Bucht von Tokio und anschließend in einer Quelle, welcher der Heimat Professor Nielsens näher war, da diese sich in dem Hintergarten des Professors befand.

Wie lassen die Bakterien den Strom fließen?

Ganz einfach: Kabelbakterien gelten als Ingenieure des Ökosystems, denn sie bilden aus tausenden von Zellen zentimeterlange Ketten, die elektrischen Strom leiten können. Am unteren Ende ernährt sich die Kette von sauerstoffarmem, schwefelhaltigem Sediment und leitet die gewonnene Energie als Elektronen nach oben zur Sedimentoberfläche. Dort holt sich die Kette den Sauerstoff zum Atmen. Das eine Ende isst, das andere atmet.


Oder detaillierter: Ihre Kettenform ermöglicht dem mehrzelligen „Körper“ der Bakterien eine sehr effektive und einzigartige Arbeitsteilung. So leben Tausende von Zellen jedes einzelnen Kabels im unteren Teil des Sediments von Gewässern, wie sie Sulfid zu Sulfat umwandeln. Dabei entstehen negativ geladenen Elektronen, die über die stromleitenden Fasern ans andere Ende des „Bakterienkabels“ an der Sedimentoberfläche fließen und dort auf Sauerstoff übertragen werden. die Bakterien überbrücken diese Entfernung, in dem sie Elektronen von einem Ende der Kette zum anderen transportieren. Damit können Kabelbakterien als einzige Organismen das Sulfid in einer Zone verbrauchen, wo es keinen Sauerstoff gibt: ein großer Vorteil gegenüber anderen konkurrierenden Organismen.

Kabelbakterien reduzieren Schadstoffe

Besonders beeindruckend ist Fähigkeit von Electronema, mikrobielle Aktivitäten zu simulieren, die nur mit Sauerstoff möglich sind, und Populationen, die dort sonst nicht leben können. Das heißt im Klartext, dass Kabelbakterien auch häufig in Gewässern vorkommen können, die mit Kohlenwasserstoffen verunreinigt sind, zum Beispiel nach einer Öl- oder Benzinverschmutzung. Durch ihren besonderen Stoffwechsel können die Bakterien Schadstoffe einfach schneller abbauen. Sie steigern den Abbau aromatischer Kohlenwasserstoffe und organischer Stoffe wie Faulschlamm in den Sedimenten überdüngter Seen. Es gibt sogar erste Überlegungen, Electronema zur Sanierung von kontaminierten Standorten einzusetzen. Durch Elektroden im Sediment könnte die Wirkung der Kabelbakterien gezielt stimuliert werden.

Klimawichtig: Electronema reduziert Treibhausgase

In überfluteten Reisfeldern entsteht jährlich eine große Menge des klimaschädlichen Methans. Die Kabelbakterien leben im Wurzelbereich von Reispflanzen und können dort die Methanbildung verringern. Erste Versuche mit Reispflanzen ergaben, dass die Zugabe von Candidatus Electronema zum Boden, die Methanemissionen um mehr als 90 Prozent reduziert. Vermutlich zapfen die Bakterien die Sauerstoffversorgung der Reiswurzel an und das ermöglicht so ein ständiges Recycling von Sulfat im Boden.
Zu erklären ist das so: Kabelbakterien transportieren Elektronen entlang ihrer Filamente, also den Ketten, und verändern so die geochemischen Bedingungen des wassergesättigten Bodens. Sie recyceln die Schwefelverbindungen des Bodens und halten dort eine große Menge Sulfat zurück. Dies hat zur Folge, dass die Methan-produzierenden Mikroben ihre Aktivität reduzieren. Für die Forschenden gilt es nun noch herauszufinden, wie die Kabelbakterien im Reisfeld oder in Mooren noch gezielt stimuliert werden können, um den Methanausstoß zu verringern.

Übersicht der unterschiedlichen Anwendungspotenziale der Kabelbakterien, Quelle: Vincent Scholz & Tillmann Lüders

Biologisch abbaubare Stromkabel statt Elektroschrott

Die Stromleitung in den Proteinfasern der Kabelbakterien ähneln der eines metallischen Kabels, schreibt die VAAM. Damit seien sie für eine auf Biomaterialien basierende Elektronik äußerst interessant. Weltweit wird nur ein Fünftel der jährlich über 50 Millionen Tonnen Elektroschrott recycelt. Biologisch abbaubare Stromleiter könnten einen wichtigen Beitrag zu mehr Nachhaltigkeit leisten. Die leitfähigen Strukturen der Kabelbakterien sind auch schon patentiert, von einer kommerziellen Nutzung ist die Entwicklung allerdings noch weit entfernt.

Kunstprojekt: Über Kabelbakterien gelesene Gedichte

Besonders gefallen hat mir die ausgefallene Idee der spanischen Künstlerin Anna Pasco Bolta, die die elektrische Leitfähigkeit der Bakterien bereits in ihren Projekten „Let’s Symbiose und Be With “ nutzt: mit Electronema-Filamenten verbindet sie Mikrofon und Verstärker für ihre über die Kabelbakterien gelesenen Gedichte. Auf Instagram unter:

Anna Pasco Bolta: Let’s symbiose and be with, performance and installation of audio-circuit cable bacteria love letter 2023. (c) Anna Pasco Bolta

(http://www.annapascobolta.com/, https://www.instagram.com/apascobolta/)

Novum bei der Juryauswahl: Noch keine Reinkultur

Die VAAM ernennt mit Electronema übrigens erstmals eine Bakterienart zur Mikrobe des Jahres für denen vollständige Beschreibung eine Reinkultur noch fehlt. Denn Kabelbakterien könne zwar in der Natur nachgewiesen, aber noch nicht isoliert im Labor weitervermehrt werden. Ihr wichtigster Vertreter trägt daher den vorläufigen Namen Candidatus Electronema.

Mittlerweile sind zwölf Arten von Kabelbakterien bekannt. Wie Candidatus Electronema können diese auch noch nicht als Reinkultur im Labor vermehrt werden, aber dank genauer Genomdaten sind sie sehr gut charakterisiert.

Vermutlich sind bisher über 99 Prozent der Mikroben unserer Welt noch nicht im Labor isoliert und beschrieben – viele spannende Eigenschaften dieser unsichtbaren Lebenswelt bleiben uns daher bisher noch verborgen.

Dann wünsche ich uns allen ein spannendes Jahr mit vielen neuen Erkenntnissen…

Wer ihn noch nicht kennt und wer sich für meine Schreibprojekte an mikrobiologischen Sachbüchern oder Science-Thrillern interessiert – hier geht es zur Anmeldung zu meinem kostenlosen Autorinnen-Newsletter.

Mikrobiologische Grüße

Ihre/Eure Susanne Thiele

Links:

VAAM

Mikrobe des Jahres 2024 / VAAM – Vereinigung für Allgemeine und Angewandte Mikrobiologie e.V.


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Microbelix – Suche nach Bodenbakterien zum Mitforschen

Ein ganz spannendes Citizen-Science-Projekt möchte ich euch heute vorstellen: Microbelix ist der sympathische Name – und ja die Assoziation mit den beiden berühmten Comic-Figuren kommt nicht von ungefähr. Denn auch hier werden clevere und findige Bürgerinnen und Bürger gesucht, die sich auf die Suche nach Bodenbakterien begeben und vielleicht den tollen Wirkstoff für ein neues Antibiotikum finden.

Hier etwas mehr Information zum Projekt für euch:

Die Themen Naturschutz und Antibiotika haben auf den ersten Blick nur wenig gemeinsam. Dass es hier dennoch große Überschneidungen gibt, zeigt diese neues Kooperationsprojekt zwischen dem Helmholtz-Institut für Pharmazeutische Forschung Saarland (HIPS) und der Naturlandstiftung Saar (NLS). In besonders artenreichen Lebensräumen soll gezielt nach Bodenbakterien gesucht werden, die neue Ausgangsstoffe für die Antibiotikaentwicklung produzieren.

Das Besondere daran: Die Suche nach den Bakterien findet im Rahmen einer Citizen Science-Kampagne statt, bei der interessierte Bürger:innen direkt in den wissenschaftlichen Prozess involviert werden und gleichzeitig wertvolle Informationen zur lokalen Biodiversität erhalten. Das HIPS ist ein Standort des Helmholtz-Zentrums für Infektionsforschung (HZI), an dem ich auch Pressesprecherin bin, in Zusammenarbeit mit der Universität des Saarlandes.

Um neue Wirkstoffe für die Behandlung von Infektionserkrankungen zu finden, nehmen Forschende des HIPS Bodenbakterien unter die Lupe, die dafür bekannt sind, Naturstoffe mit vielversprechenden pharmazeutischen Eigenschaften zu produzieren. Diese können anschließend im Labor auf ihre Wirksamkeit gegen humanpathogene Keime untersucht und so für die Entwicklung neuer Antibiotika genutzt werden.

Je größer die biologische Diversität in einer Bodenprobe ist, desto größer ist die Chance, neue Bakterien und somit auch neue Wirkstoffkandidaten zu entdecken. Aus genau dieser Überlegung entstammt die Idee einer Zusammenarbeit zwischen dem HIPS und der NLS, die eigene ökologisch wertvolle Flächen besitzt und die saarländischen Naturschutzgebiete betreut.

Im Projekt „Microbelix“, das sich aktuell in der Vorbereitungsphase befindet, sollen sich Bürgerwissenschaftlern (engl. Citizen Scientists) im Rahmen geführter Wanderungen, oder auf eigene Faust, auf die Suche nach Orten machen, an denen sie eine besonders hohe biologische Diversität vermuten. Dort sammeln sie einige Löffel Erde und schicken diese direkt zum HIPS. Im Labor werden die Proben mittels Metagenom-Analyse „durchleuchtet“.

Diese Technologie ermöglicht es, in nur kurzer Zeit einen tiefen Einblick in die Biodiversität jeder einzelnen Bodenprobe zu erhalten. Dieses Wissen erlaubt es den Wissenschaftler:innen zu sehen, in welchen Proben sich besonders interessante Bakterien verstecken. Gleichzeitig sind die gesammelten Informationen von großer Bedeutung für die Aktivitäten der NLS: Untersucht wird, wie Diversität von Mikroorganismen mit der von höheren Tieren und Pflanzen zusammenhängt. Möglicherweise können die Daten sogar Aussagen über die Auswirkungen klimatischer Veränderungen auf den Lebensraum Boden ermöglichen – auch das soll im Projekt überprüft werden.

Um das Sammeln der Proben zu standardisieren und eine hohe Probenqualität zu gewährleisten, haben HIPS und NLS „Probensammelkits“ entwickelt, die den Citizen Scientists alles bieten, was sie für die Probennahme benötigen. Zusätzlich erhalten die Teilnehmenden wertvolle Informationen rund um die Themen Naturschutz, Antibiotika und Antibiotikaresistenzen. Neben einfachen Bodenproben sollen die Citizen Scientists auch dazu ermutigt werden, eigene „Bakterienfallen“ zu entwickeln und zu testen. Bei Microbelix handelt es sich um die Weiterentwicklung des Projektes „Die Mikrobielle Schatzkiste“, mit der das HIPS bereits 2022 auf dem Ausstellungs- und Wissenschaftsschiff „MS Wissenschaft“ unterwegs war.

Der konkrete Anlass für die Zusammenarbeit zwischen HIPS und NLS ist der Wettbewerb „Auf die Plätze! Citizen Science in deiner Stadt“, der von Wissenschaft im Dialog und dem Museum für Naturkunde Berlin in enger Zusammenarbeit mit der Citizen-Science-Plattform Bürger schaffen Wissen umgesetzt wird. Gefördert wird das Verbundprojekt vom Bundesministerium für Bildung und Forschung. Mit seinem Projektantrag konnte das Team sich bereits einen Platz unter den besten zehn Projekten sichern.
Ab dem 21. Juni beginnt eine einmonatige Abstimmungsphase, in der die Öffentlichkeit unter www.citizenscience-wettbewerb.de über die einzelnen Projekte abstimmen kann. Die Publikumspunkte fließen mit 20 Prozent in die Jury-Wertung ein. Die Gewinner des Wettbewerbs erhalten 50.000 Euro für die Umsetzung ihres Konzeptes. Da könnt ihr auch noch mitmachen!

Ein wichtiges Puzzleteil des Wettbewerbsprojekts wird die Entwicklung der „Microbelix App“ sein, mit deren Hilfe die Citizen Scientists die Probennahme dokumentieren und sich mit den Forschenden und anderen Projektteilnehmenden vernetzen können. Die App ermöglicht außerdem die beschleunigte digitale Kommunikation von Ergebnissen aus dem Labor.

Auf dem Projektportal www.microbelix.de erhalten Interessierte alle Informationen für die Teilnahme und Einblicke in den Fortschritt des Projektes. Dort können auch die Probensammelkits angefordert werden.

Also dann mal ran an die Löffel – also in den Probenkits und mitforschen 🙂 !

Mikrobiologische Grüße

Eure

Susanne Thiele


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Bedeutung von Diversität in der Ernährung und Mikrobiom-Gesundheit durch Superfoods

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Seid ihr neugierig, wie die richtige Ernährung euren Darm beeinflussen kann? Kein Problem, ich habe heute Maximilian Wolf vom Landkorb-Blog hier im Mikrobenzirkus mit einem Gastbeitrag zu diesem spannenden Thema !

Diversität in der Ernährung ist wichtig, um die Gesundheit des Mikrobioms zu fördern und das Immunsystem zu stärken.

Hier gibt es viele wertvolle Informationen für euch, also lest weiter!

Wie fördert man eine hohe Diversität von Darmbakterien?

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Eine vielfältige Ernährung ist der Schlüssel, um die Diversität der Darmbakterien zu erhöhen.

Die Ernährung mit einer breiten Palette von Lebensmitteln, insbesondere Obst, wie Äpfel oder Kiwis, beispielsweise grünes Gemüse und Vollkornprodukte, versorgt euren Körper mit einer Vielzahl von Nährstoffen, die das Wachstum verschiedener Darmbakterien unterstützen.

Probiotische Lebensmittel wie Joghurt, Kefir oder Sauerkraut sind auch hilfreich, um „gute“ Bakterien in euren Darm zu fördern.

Darmbakterien und Krankheiten – wie sie im Zusammenhang stehen

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Darmbakterien spielen eine entscheidende Rolle bei der Regulierung des Immunsystems und der Verdauung.

Ein Ungleichgewicht im Darmmikrobiom kann zu verschiedenen Krankheiten führen, wie zum Beispiel entzündliche Darmerkrankungen, Reizdarmsyndrom oder sogar psychische Störungen wie Depressionen und Angstzustände.

Eine vielfältige Ernährung und die Aufnahme von Superfoods können helfen, das Gleichgewicht im Darmmikrobiom wiederherzustellen und das Risiko dieser Krankheiten zu reduzieren.

Ballaststoffe – die Wichtigkeit der Nährstoffe für das Mikrobiom

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Das Darm-Mikrobiom, ein komplexes Ökosystem aus Milliarden von Bakterien, Viren, Pilzen und anderen Mikroorganismen, spielt eine entscheidende Rolle für unsere Gesundheit. Eine ausgewogene Ernährung, die reich an verschiedenen Nährstoffen ist, trägt wesentlich zur Aufrechterhaltung eines gesunden Darm-Mikrobioms bei.

Einer der wichtigsten Nährstoffe für das Darm-Mikrobiom sind Ballaststoffe. Sie sind unverdauliche Substanzen, die in vielen pflanzlichen Lebensmitteln wie Vollkornprodukten, Obst, Gemüse und Hülsenfrüchten vorkommen. Ballaststoffe fördern das Wachstum von nützlichen Bakterien, indem sie als Nahrung für diese dienen. Diese Bakterien produzieren kurzkettige Fettsäuren, die entzündungshemmende Eigenschaften besitzen und die Darmbarriere stärken.

Auch Eiweiße sind für das Darm-Mikrobiom von Bedeutung. Sie sind aus einer großen Anzahl von Aminosäuren aufgebaut, die für die Synthese von Enzymen und anderen Proteinen benötigt werden. Eine ausreichende Proteinversorgung kann das Wachstum von bestimmten Bakterienarten im Darm fördern, die für die Gesundheit von Vorteil sind. Dabei sollte jedoch darauf geachtet werden, dass ein Übermaß an tierischen Proteinen das Gleichgewicht des Darm-Mikrobioms stören kann, da sie die Produktion von toxischen Verbindungen fördern können.

Fette, insbesondere ungesättigte Fettsäuren, spielen ebenfalls eine wichtige Rolle für das Darm-Mikrobiom. Sie können die Zusammensetzung der Darmbakterien beeinflussen und so zur Aufrechterhaltung der Darmgesundheit beitragen. Omega-3-Fettsäuren, die in fettem Fisch, Nüssen und Samen vorkommen, haben entzündungshemmende Wirkungen und können das Gleichgewicht der Darmbakterien positiv beeinflussen.

Vitamine und Mineralstoffe sind für das Darm-Mikrobiom unerlässlich, da sie als Co-Faktoren für viele enzymatische Reaktionen dienen, die für die Stoffwechselaktivität der Darmbakterien wichtig sind. Vorwiegend B-Vitamine, Vitamin D, Zink und Magnesium sind für die Gesundheit des Darm-Mikrobioms von großer Bedeutung.

Insgesamt ist eine ausgewogene Ernährung, die reich an verschiedenen Nährstoffen ist, unerlässlich für die Aufrechterhaltung eines gesunden Darm-Mikrobioms.

Wie kann man sein Darm-Mikrobiom unterstützen und fördern?

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Um euer Darm-Mikrobiom zu unterstützen, solltet ihr auf eine vielfältige Ernährung, die reich an Ballaststoffen, Probiotika und Superfoods ist, achten. Vermeidet verarbeitete Lebensmittel und reduziert euren Konsum von Zucker und gesättigten Fetten, da diese das Gleichgewicht im Darm-Mikrobiom stören können.

Außerdem kann regelmäßige Bewegung dazu beitragen, das Darm-Mikrobiom zu fördern und die Verdauung zu unterstützen.

Welche Superfoods unterstützen den Darm?

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Einige Superfoods, die das Darm-Mikrobiom unterstützen, sind:

  1. Chiasamen: Reich an Ballaststoffen und Omega-3-Fettsäuren, die entzündungshemmende Eigenschaften haben.
  2. Leinsamen: Eine hervorragende Ballaststoffquelle, die das Wachstum von nützlichen Darmbakterien fördert.
  3. Beeren: Reich an Antioxidantien, Vitaminen und Ballaststoffen, die zur Unterstützung des Darmmikrobioms beitragen.
  4. Sauerkraut: Ein fermentiertes Lebensmittel, das natürliche Probiotika enthält, um das Darm-Mikrobiom zu fördern.
  5. Kefir: Ein probiotisches Getränk, das eine Vielzahl von nützlichen Bakterien und Hefen enthält, die zur Stärkung des Darmmikrobioms beitragen.
  6. Ingwer: Bekannt für seine entzündungshemmenden Eigenschaften, kann Ingwer dazu beitragen, das Gleichgewicht im Darm-Mikrobiom aufrechtzuerhalten.
  7. Artischocken: Eine ausgezeichnete Quelle für präbiotische Ballaststoffe, die das Wachstum gesunder Darmbakterien fördern.

Fazit

Die Bedeutung von Diversität in der Ernährung im Zusammenhang mit Superfoods, die die Gesundheit des Mikrobioms fördern, ist enorm.

Eine vielfältige Ernährung kann dazu beitragen, das Gleichgewicht im Darm-Mikrobiom aufrechtzuerhalten, das Immunsystem zu stärken und das Risiko verschiedener Krankheiten zu verringern.

Achtet darauf, eine breite Palette von nährstoffreichen Lebensmitteln zu euch zu nehmen, einschließlich Superfoods, die das Darm-Mikrobiom unterstützen. Ballaststoffe, Probiotika und regelmäßige Bewegung sind ebenfalls entscheidend für die Förderung der Darmgesundheit.

Vielen Dank an Maximilian für diesen Beitrag!

Hast Du noch Tipps oder Anregungen für uns? Dann teile sie gern in den Kommentaren.

Viele Grüße an alle Mikrobenfreunde

Susanne


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Wählt den Wissenschaftsblog des Jahres 2022!

Mikrobenzirkus wieder für den Wissenschaftsblog des Jahres 2022 nominiert!

Die Wahl zum Wissenschafts-Blog des Jahres 2022 läuft und auch mein Blog „Mikrobenzirkus“ wurde in Folge wieder nominiert, worüber ich mich sehr freue! Jetzt seid ihr für die Abstimmung gefragt!
Schaut mal vorbei und stimmt ab, wenn ihr Zeit findet! Es sind auch viele andere Wissenschaftsblogs nominiert. Aber ich freue mich natürlich besonders über euren Haken!

Mit einem Klick auf das Logo geht es zur Abstimmung oder direkt HIER:

Herzliche Grüße aus dem Mikrobenzirkus

Susanne


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„Bakterien und so“…unterstützt Johannas Crowdfunding-Projekt für ein Bilderbuch!

Jane Jott publiziert gereimte Bilderbücher für Kinder (Quelle: Jane Jott)

Mikrobiologinnen sind mir ja immer sehr sympathisch und wenn sie noch dazu so engagierte Autorinnen für eine gute Sache sind – sowieso. Deshalb möchte ich euch heute auf das Herzensprojekt der Mikrobiomforscherin Johanna Nelkner aufmerksam machen. Support unter mikrobiologischen Autorinnen sozusagen…J!

Am Telefon erzählt mir Johanna, dass sie unter dem Pseudonym Jane Ott schon länger gereimte Bilder-Sachbücher schreibt, zu denen sie ihre beiden kleinen Kinder inspiriert haben.

Hilfe gesucht für ein neues Herzensprojekt

Im neuen Bilderbuch „BAKTERIEN UND SO“ für 3-6-jährige Kinder, welches Johanna gerade realisieren möchte, geht es um die Lebensorte und Talente von Mikroben. Superschurken oder Superhelden?

„Bakterien und weitere Winzlinge leben überall, ob in superheißer oder eiskalter Umgebung, im tiefsten Ozean oder den höchsten Wolken, auch in uns Menschen. Diese Mikroben haben so einige Talente: sie helfen Pflanzen beim Wachsen, können Gas und Strom produzieren, helfen bei der Verdauung und der Herstellung von Medikamenten, und pupsen die Löcher in den Käse. Das Bilderbuch “Bakterien und so, die leben wo?!” entführt euch und eure Kinder in diesen Mikrokosmos.“

Johanna hat ein Crowdfunding-Projekt auf Start Next gestartet, um eine Erstauflage von 200 liebevoll von Carlotta Klee illustrierten Bücher zu realisieren.
Ihr könnt dieses Projekt unterstützen und zahlreiche tolle Dankeschöns von Jane Ott erhalten wie das „Spirit Mikroben Orakel“, gehäkelte Minimikroben, das Kita-Paket mit Experimentier-Ideen oder das Mikroben-Malbuch Bundle.

„Mir liegt besonders das „Kinderheld*in“ Dankeschön am Herzen“, sagte mir Johanna. „Das habe ich extra  für Kindergärten und Grundschulen zusammengestellt. Da gibt es
obendrauf eine Sammlung an Ideen für eine Projektwoche zum Thema
Mikroben. Mit Experimentideen und Bastelideen, geeignet für Kinder ab
drei Jahren.“

Hier ist der Link für eure Unterstützung des Crowdfunding-Projektes, das noch bis zum 6.10 2022 läuft https://www.startnext.com/bakterienundso.


Also ran an die Häkelmikroben und schaut mal rein…:-)

Viele Grüße

Susanne


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Hefe ist nicht gleich Hefe – Interview mit Andrey Yurkov

Mikrobe des Jahres 2022: Bäckerhefe Saccharomyces cerevisiae

Als am Anfang des Jahres die Sektkorken knallten, war schon die Mikrobe des Jahres 2022 beteiligt: Saccharomyces cerevisiae – die Bäckerhefe. Sie produziert neben Wein – der Grundlage von Sekt – und Bier auch solche Köstlichkeiten, wie Kuchen und Brot. Hefen sind winzige Einzeller und zählen daher zu den Mikroben, auch wenn sie – anders als Bakterien – einen Zellkern besitzen und damit zu den Eukaryoten gehören. So weit steht es in der Pressemitteilung der VAAM. So gut.

Ich dachte Anfang Januar 2022: „Prima, sehr schön – machst Du mal schnell einen Artikel für den Mikrobenzirkus draus.“ Und dann schrieb mir ein ehemaliger Kollege, der Hefe-Experte Andrey Yurkov vom benachbarten Leibniz-Institut DSMZ-Deutsche Sammlung von Mikroorganismen und Zellkulturen, dass er doch einige Bauchschmerzen mit der Berichterstattung hätte und sendete mir viele Links zu Literaturquellen. Das Problem: Hefe ist nicht gleich Hefe.
Das wird wohl doch etwas komplizierter, dachte ich. So etwas liegt dann erfahrungsgemäß vorsichtshalber in meiner Zettelbox „nochmal gut“ ab. Bis jetzt. Am besten frage ich also für euch direkt beim Experten nach.

Also auf einen halben virtuellen Sekt (denn ich muss ja noch schreiben) mit dem Hefeexperten Dr. Andrey Yurkov, Bioresources for Bioeconomy and Health Research, am Leibniz-Institut DSMZ Deutsche Sammlung von Mikroorganismen und Zellkulturen.

  1. Lieber Andrey, hast Du Dich über die Wahl von Saccharomyces cerevisiae zur Mikrobe des Jahres 2022 gefreut und wo siehst Du die wichtigste Bedeutung dieser Art?

Ja, natürlich habe ich mich sehr gefreut. Hefen als meine Forschungsobjekte sind ganz besondere Mikroorganismen und sehr eng mit unserer menschlichen Kulturgeschichte verbunden. Sie sind wahrscheinlich unsere „ersten Haustiere“ – also die ersten domestizierten Mikroorganismen. Die Vielfalt der Anwendungen erforderte den Einsatz verschiedener Hefen in den Prozessen oder Produkten, seien es Bier, Wein, Sauerteig, Kombucha oder Kefir. Neben der bekanntesten Art, Saccharomyces cerevisiae, haben Menschen schon vor 2,000 Jahren ein Dutzend Hefen erfolgreich domestiziert. Die Hefefermentation nutzen die Menschen seit Jahrtausenden: Schon bei den alten Ägyptern war eine Art Bier beliebt. Der Einsatz von Saccharomyces in den diversen Anwendungen hat dann die Evolution dieser Hefe vorangetrieben. Es gibt sozusagen drei große Hefe-Gruppen, die viele domestizierte Saccharomyces cerevisiae-Stämme umfassen – Bier, Wein und Brot.

Der lateinische Name bedeutet „Zuckerpilz des Bieres“ und deutet darauf hin, dass die Mikrobe ein großer Braumeister ist, obwohl sie so winzig ist, dass zehn ihrer Zellen gestapelt gerade mal die Dicke von Papier erreichen. Sichtbar wurde die Brauhefe erst mit der Erfindung des Lichtmikroskops im Jahre 1680. Es dauerte nochmals 200 Jahre bis Theodor Schwann und Louis Pasteur lebende Hefezellen als Ursache für die alkoholische Gärung erkannte. Schwann hat der Hefe auch ihren Namen Zuckerpilz gegeben.
In der Natur ernähren sich Hefen von Zuckerverbindungen. Sie bauen Glukose oder Fruktose zu Kohlendioxid (CO2) und dem Alkohol Ethanol ab. Der Alkohol verschafft der Hefe gleichzeitig einen Vorteil: Er tötet konkurrierende Mikroorganismen ab, kann aber auch die Hefe als Zellgift irgendwann selbst töten (so entsteht der Trockenwein). Fermentierte Getränke und Lebensmitteln sind sozusagen eine alte Technik der Lebensmittelkonservierung.

  • Aber welche Rolle spielt Sacharcomyces cereviseae denn nun beim Brotbacken?

Beim Brotbacken sorgt die „Bäckerhefe“ für das nötige Backtriebmittel. Die einzelligen Hefepilze verteilen sich beim Kneten im Teig und produzieren Kohlendioxid-Bläschen aus den verknüpften Zuckern des Mehls (Kohlenhydrate). Das lässt den Hefeteig locker werden – er geht auf. Bäckereien, Brauereien etc. verwenden oft eine Vielzahl unterschiedlicher Hefestämme und- arten. Die Rezepturen sind häufig gut gehütete Betriebsgeheimnisse. Im Sauerteig der zum Brotbacken genutzt wird, unterstützen. z.B. auch noch Milchsäurebakterien die Hefen der Gattung Kazachstania.

  • Was macht Saccharomyces zum begehrten Modellorganismus und zur „Zellfabrik“ für die Industrie?

Saccharomyces cerevisiae war der erste eukaryotische Organismus mit einem vollständig sequenzierten Genom. Am Modellorganismus kann man somit wunderbar den grundlegenden Aufbau und die Funktion eukaryotischer Zellen untersuchen, denn Hefezellen sind damit ähnlich aufgebaut, wie menschliche Zellen.

Heute gibt es sogar Stammsammlungen, in denen jedes einzelne der ca. 6300 Hefegene veränderbar ist. In 2014 wurde das erste synthetische eukaryotische Chromosom in einer Saccharomyces cerevisiae-Zelle zusammengesetzt, und das erste synthetische Hefegenom ist auf dem Weg.

Das weckt natürlich die Kreativität der Biotechnologen und Genetiker. Hefezellen dienen als „zelluläre Fabrik“. Das ist vor allem für Diabetiker interessant. Denn in das Hefegenom wurde das menschliche Insulingen eingepflanzt, sodass dieser kleine Organismus einen Großteil des menschlichen Hormons für die Insulin-Diabetestherapie produziert.

Der Malaria-Wirkstoff Artemisin, der im Jahre 2015 mit dem Nobelpreis ausgezeichnet wurde, wird beispielsweise durcheine elegante „Umleitung“ des Hefestoffwechsels hergestellt. Interessanterweise ist der Prozess auch die Ausgangsbasis, um den chemisch verwandten Ersatz-Flugzeugkraftstoff Farnesen herzustellen.

Einige Forscher bauen auch Gene aus Pilzen und Bakterien in Hefegenome ein und versetzen sie so in die Lage, natürliche Zucker aus Holz (Xylose) in Ethanol umzuwandeln. Damit können pflanzliche Abfallstoffe heute als Rohstoff und Energiequelle dienen. Heutzutage gewinnt man aber auch Bioethanol aus mit Hefen, die schon ohne eine genetische Veränderung die Xylose fermentieren können (sogenannte aka xylose-fementing yeasts) z.B. Scheffersomyces ehemals Pichia stipitis und Candida shehatae. Auch die Gene werden immer häufiger in Saccharomyces cerevisiae kloniert.

Veränderte Hefezellen können auch Bernsteinsäure herstellen, einen Baustein zur industriellen Herstellung von Polyester. Beeindruckend ist auch die Fähigkeit von Hefen als Eukaryoten, die in ihren membranumschlossenen Organellen eine Trennung verschiedener biochemischer Prozesse erlauben. Damit lassen sich sogar giftige Zwischenstufen innerhalb einer Zelle abtrennen. Das nutzten Forschende gerade erfolgreich, um Enzyme für eine Vorstufe von Nylon in bläschenartige Vesikel zu packen.

  • Warum ist denn nun die Systematik und Taxonomie so kompliziert bei Hefen? Wie macht ihr das an der DSMZ?

Andrey: „Die Namensgebung ist schon sehr essenziell, um die Eigenschaften von Pilzen zu kommunizieren, um auch Krankheitserreger zu benennen. Wie bei anderen Pilzen ist aber nur ein ganz geringer Teil der gesamten Artenvielfalt bekannt (geschätzt ca. 10 Prozent) und die Forschung steht vor der Herausforderung, die enorme Pilzvielfalt korrekt zu katalogisieren“.,

Gib dem Kind den richtigen Namen! Das grundsätzliche Problem steht also gleich am Anfang: Mikrobiologen und Biotechnologen unterscheiden Hefen oft nicht in Arten und Gattungen. Viele sehen Hefen als eine Gruppe von sehr eng verwandten Organismen und da liegen sie vollkommen falsch. Auch bei echten Hefen liegen zwischen Arten mal locker circa 400 Millionen Jahre Evolution. Das entspricht einem Zeitfenster von Menschen und Fischen. Andere Gruppen von Hefen sind enger mit Rostpilzen, Brandpilzen oder Zitterlinge verwandt, als mit Saccharomyces. Das zeigt deutlich die taxonomische Komplexität von Hefen.

Die derzeit 2000 bekannten Hefearten werden jährlich um etwa 50 neue Arte ergänzt. Neben der Gattung Saccharomyces, darunter die Bäckerhefe – unserer Mikrobe des Jahres 2022 – wurden schon seit dem 19. Jahrhundert basierend auf Morphologie und Wachstumstest weitere Hefegattungen beschrieben, darunter z.B. Pichia, Saccharomycodes, Saccharomycopsis und Zygosaccharomyces. Weitere Arten führen bis ins 19. Jahrhundert zurück, darunter z.B. humanpathogene Candida albicans, Cryptococcus neoformans, Malassezia furfur und Trichosporon ovoides.

Andrey: „In den letzten Jahren haben sich zudem die Identifizierungsmethoden für Hefe grundlegend verändert. Um eine zuverlässige Artbestimmung und eine realistische, auf Verwandtschaftsverhältnissen basierende Systematik zu erreichen, werden Wachstumstests und biochemische Analysen mit komplexen molekulargenetische Untersuchungen und immer öfter bei der Sequenzierung gesamter Genome begleitet.“

Das hatte Folgen: Eine breitere Anwendung der DNA-Sequenzierung führte zu neuen Ansichten zur Systematik von Hefen und als Konsequenz zu großen Neuklassifizierungen und Umbenennungen.

Andrey: „Dazu sollte man einmal Art und Gattung für Hefen definieren, das ist ja auch nicht jedem so geläufig: Arten sind Gruppen von Organismen, die sich anhand von quantifizierbaren Merkmalen oder anhand ihres Verhaltens voneinander unterscheiden lassen. Die Gattung dagegen steht oberhalb der Art und unterhalb der Familie. Eine Gattung kann eine einzige Art enthalten oder eine beliebige Anzahl von Arten. Und bei den Hefen ist diese ganze Systematik wohl etwas facettenreicher.
Es ist dabei sehr wichtig, ein stabiles System zu entwickeln und die Gattungen auf eng verwandte Arten zu begrenzen, um bekannte Eigenschaften (z.B. antimykotische Medikamentenresistenz oder charakteristische Stoffwechselwege) anhand des Namens zu erkennen. Auch wenn es nicht immer sofort ersichtlich ist: Wissenschaftliche Namen vermitteln wichtige Informationen zu Verwandtschaft und Eigenschaften von Arten.

Na dann Prost, lieber Andrey!
Vielen Dank für das Gespräch. Ich habe heute viel Neues gelernt!

Eines ist sicher: Sollten die Mikroorganismen irgendwann mal eine Image-Kampagne für die positiven Seiten ihrer Existenz starten- abseits ihrer Rolle als Krankheitserreger – dann wären die Hefen als Stars für Sekt, Brot, Wein und andere kulinarische Köstlichkeiten ganz vorn dabei.

In dem Sinne, bleibt neugierig!

Susanne

Weiterführende Links:

Pressemitteilung der VAAM-

Mikrobe des Jahres 2022 / VAAM – Vereinigung für Allgemeine und Angewandte Mikrobiologie e.V.

Zwei gute Reviews über Hefen:
https://link.springer.com/article/10.1007/s13225-021-00475-9
https://link.springer.com/article/10.1007/s13225-021-00494-6

Xylose-fermentierende Hefen:

Genetische Verbesserung nativer Xylose-fermentierender Hefen zur Ethanolherstellung | Zeitschrift für Industrielle Mikrobiologie und Biotechnologie | Oxford Akademiker (oup.com)


Beitrag zur Taxonomie-Problematik von Candida:
https://link.springer.com/article/10.1007/s12268-021-1665-6