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Deutschland blubbert – Neuer Food-Trend Fermentation

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Neuer Food Trend – Fermentiertes Gemüse (Quelle: Löwenzahn)

Fermentiertes Gemüse – klingt ganz schön sperrig und kompliziert. Unsere Großmütter wussten noch eine ganze Menge darüber. Aber dieses Wissen ist heute verlorengegangen. Ganz langsam hat es sich wieder eingeschlichen – in die Hipster-Küchen. In Deutschland blubbert es wieder vor sich hin. Fermentierte Lebensmittel erleben ein Revival und gehören zu den Food-Trends, die ihr unbedingt einmal ausprobieren solltet. Unter Food-Bloggern seit einiger Zeit der neueste Schrei.

DIY – Selbermachen ist ja sowieso schon lange Trend und da passt Fermentation natürlich besonders gut rein! Der Food-Aktivist Sandor Katz, Autor des Buches „Wild Fermentation“ begeisterte schon vor einiger Zeit in den USA sonst so hygienebesessene Amerikaner für gute Bakterien. Und so machen viele Menschen ihr Sauerkraut wieder selbst in Gärtöpfen, Salami und Käse reifen in den Kellern vor sich hin oder es wird Bier gebraut. Sogar diverse Spitzenköche experimentieren mit fermentierten Lebensmitteln – aber dazu später mehr…

Was ist überhaupt Fermentation?

Im Prinzip ist es ganz einfach: Lassen wir Lebensmittel eine Weile stehen, verändern sie sich. Mikroben, Pilze, Bakterien und Hefen – sonst eher unerwünscht – arbeiten nun daran. Fermentation ist eine archaische Konservierungstechnik. Schon die alten Römer, Griechen und Chinesen nutzen sie, um ihre Lebensmittel haltbar zu machen. So verwandelten sie Milch in Joghurt und Traubensaft in Wein. In Korea ist das milchsaure Kimchi aus Kohl eine Nationalspeise. In Asien verzehrt man Soja meist in seiner fermentierten Form z.B. als Miso. Die Technik ist also in allen Kulturen verankert. Viele Lebensmittel gäbe es ohne Fermentation gar nicht, wie Bier, Wein, Käse, Rohwurst und sogar Kakao entsteht nicht ohne Fermentation.

Fermentistas Kitchen

Klar, Fermentation ist mir als Mikrobiologin prinzipiell geläufig. Richtig aufmerksam geworden auf den Fermentiertrend bin ich aber erst durch den Blog Wildefermente.de von Barbara Hosfeld, die selbst Biologin ist.

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Ingwer- und Dillkarotten (Quelle: Wilde Fermente)

„WildeFermente“ vereint über 2000 Fermentistas in der dazugehörigen Facebook-Gruppe. Hier gibt es praktische Tipps für Neufermentierer und Fortgeschrittene und jede Menge tolle Rezeptideen.

Wilde Fermente heißt der Blog übrigens weil „wilde“ (Milchsäure-)Bakterien für die Fermente verwendet werden, die überall vorkommen z.B. auch auf unserer Haut.

Prinzipiell sind mir solche „Einlegearbeiten“ auch gar nicht fremd. Ich bin mit sauren Gurken aus dem Garten aufgewachsen. Wenn ich neuerdings im Bekanntenkreis über fermentiertes Gemüse erzähle, dann wird erstmal abgewunken: „Aber das ist ja uralt und langweilig – Sauerkraut und Co“.  Natürlich – Deutschland ist nun mal das Land des Sauerkrauts. Es gibt aber viel mehr Gemüse zu entdecken, welches man gut fermentieren kann – Gurken, Rettiche, Karotten oder Ingwer. Der Fantasie und der Experimentierfreude sind keine Grenzen gesetzt.

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Nach Cathrin Brandes, die in ihrem Blog Berlin Tidbits regelmäßig Food Trends veröffentlicht, ist zum Beispiel „Kimchi viel schicker als Sauerkraut und DIE Einstiegsdroge zum Fermentationshobby – gleich nach Komboucha und Kefir“.
Und der wahre Hipster kommt sowieso nicht am selbst gemachtem Ruby-Sauerkraut zum Sliced Pork Tongue-RyeBread Sandwich vorbei. Na dann!

Der Nordic Food Trend?

Fermentation ist jedenfalls ein heißes Thema in den Foodie-Metropolen der Welt. New Nordic Köche wie René Redzepi aus Kopenhagen verwenden regionale Produkte vor der Haustür und experimentieren mit Fermentation. Kein Wunder, dass diese Idee aus dem Norden kommt. In den langen nordeuropäischen Winter gibt es nicht viel, also wird in den wärmeren Monaten konserviert und fermentiert. Redzepi bietet im Kopenhagener „Noma“ z. B. eine fermentierte Soße aus pürierten Grashüpfern an. Magnus Nilsson im „Faviken Magasinet“ würzt seine Gerichte mit eingelegten Pflanzen.

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Kreation von Magnus Nilsson, Küchenchef im Restaurant Fäviken Magasinet in Jämtland © Fäviken Magasinet

Unter den deutschen Köchen ist Heiko Antoniewicz zu nennen, der bekannt ist für seine ausgefallenen Kochtechniken und das preisgekrönte Buch „Fermentation“ veröffentlichte. Für Interessierte bietet er auch Kochworkshops zu Fermentationstechniken an.

Wie funktioniert Fermentieren?

Viele Menschen haben einen gewissen Respekt vor dem Fermentationsprozess. Schließlich geht es da um richtige Mikroorganismen. Es könnte ja auch sein, dass Krankheitserreger im Spiel sind. Aber im Normalfall haben solche Erreger keine Chance, wenn man einige Grundprinzipien befolgt.

Wie sieht sie nun aus die Alchemie des Eingelegten?

Die Formel ist seit Jahrtausenden bekannt: Man braucht nur

Gemüse + Salz + Zeit.

Der Kohl wird also recht klein geschnibbelt und mit ausreichend Salz nach und nach in ein Gefäß gegeben. Das Salz und das Stampfen des Kohls entziehen dem Gemüse Flüssigkeit und es entsteht eine sogenannte „Lake“. Milchsäurebakterien lieben aber genau dieses saure Milieu. Sie nehmen sich die Faser- und Ballaststoffe des Gemüses vor und verstoffwechseln diese – dabei produzieren sie Milchsäure und viele weitere Stoffe, wie wertvolle Vitamine.

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Witwe Bolte am Sauerkrautfass (1865) Quelle: Wilhelm Busch: Max und Moritz (Public Domain)

 

Sauerkraut hat z. B. mehr Vitamin C als Weißkohl in rohem Zustand. Aus diesem Umstand war es auch schon unter Seefahrern bekannt und beliebt, die oft unter den Vitaminmangelkrankheit Skorbut auf ihren langen Schiffreisen litten. Der englische Seefahrer James Cook hatte es als Erster fässerweise an Bord.

Die Milchsäurebakterien setzen auch Kohlendioxid frei (CO2). Das erkennt man am Blubbern – vielen kleinen Luftblasen im Ferment. Das Ferment lebt – auch wenn man die kleinen Mitwohner mit bloßem Auge nicht sehen kann. Die Milchsäure gibt dem Ferment auch seinen besonderen Geschmack.

In diesem sauren Milieu haben Pathogene, wie das gefürchtete Bakterium Clostridium botulinum, gar keine Chance sich zu vermehren.

Wie Heiko Antoniewicz in seinem Buch „Fermentation“ gemeinsam mit dem Biochemiker Michael Podvinec gut erklärt, bestehen sogenannte „Hürdeneffekte“ gegen Krankheitserreger. Vier Barrieren wirken beim Fermentieren gegen gefährliche Keime: die Lagerung ohne Sauerstoff in Flüssigkeit, ein hoher Salzgehalt, die entstehende Säure und eine neue Bakterienflora die einen Schutzwall um das Eingemachte bildet.

Etwas Erfahrung sollte man aber trotzdem im Umgang mit Lebensmitteln haben. Die verwendeten Gefäße müssen sauber sein und die richtigen Temperaturen und die Luftfeuchtigkeit sind wichtig. Misslungene Fermente erkennt man schnell am Geruch. Dies genau könnte aber bei der Fermentation von Fleisch oder Fisch für Hobbyköche problematisch werden. Hier können pathogene Bakterien entstehen, die nicht zu riechen oder zu schmecken sind. Da sollten besser Profis ran.

Gute Gründe für Fermentation

Es gibt viele gute Gründe für Fermentation. Ging es früher vor allem um ein längeres Konservieren von schnell verderblichen Lebensmitteln, stehen heute eher die kulinarischen oder gesundheitlichen Aspekte im Vordergrund.

Fermentiertes schmeckt gut. Das liegt vor allem daran, weil bei der Fermentation die Gemüsearomen um das Salz ergänzt werden, welches zugesetzt wurde und um die Säure die sich mit der Milchsäurevergärung bildet. Zusätzlich entstehen weitere Aromen, die im Ausgangsprodukt so nicht vorhanden waren und verschiedene Gerbstoffe werden abgebaut. So entsteht ein komplexes und vielfältiges Geschmackserlebnis.

Fermentiertes ist gesund. Nach neuesten Studien enthalten fermentierte Lebensmittel Mikroben, die sich gut mit dem eigenen Mikrobiom unseres Darms vertragen oder dessen Mikroflora gut ergänzen. Ernährungswissenschaftler erklären, dass fermentierte Lebensmittel bekömmlicher und vitaminreicher sind. Trotzdem ist fermentiertes Essen kein Allheilmittel. Fermentierte Lebensmittel sollten aber in der gesunden Ernährung eine wichtige Rolle spielen. Sie stärken das Immunsystem und können Krebs, Diabetes und Herz-Kreislauf-Erkrankungen vorbeugen. Auch beim Abnehmen können sie hilfreich sein, denn fermentiertes Gemüse ist reich an Ballaststoffen und hält lange satt.

„Krautfunding“

Zum Abschluss noch ein kleiner Hinweis auf ein, wie ich finde, tolles und nachhaltiges Projekt. Der Gärtner Olaf Schnelle ist dabei, über Crowdfunding oder in diesem Fall eher „Krautfunding“, das Zentrum für Gemüse-Fermentation Trebeltal in Vorpommern zu realisieren.

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Sein selbst angebautes Gemüse aus der eigenen Gärtnerei „Schnelles Grünzeug“ soll über kurze Transportwege gleich in der eigenen Fermentationsanlage verarbeitet werden. Die Geldeinwerbephase ist zwischenzeitlich schon erfolgreich beendet. Mit dem gespendeten Geldern und Fördermitteln vom Bundes-Landwirtschaftsminister (!) ist er schon mitten in der Planung der Produktionsanlagen.
Interessierte finden alle Infos unter folgendem Link.

 

Weiterer Link-Tipp Einsteiger Fermentation:

Wer sich jetzt schon mit dem Gedanken trägt, etwas tiefer in die Fermentation einzusteigen und selbst experimentieren möchte, dem sei die Seite Wilde Fermente nochmal wärmstens empfohlen.

Ich habe meine Bügelgläser auch schon bereitgestellt. Von meinen Versuchen gibt es dann sicher hier auch mal was zu lesen.

Mikrobiologische Grüße

Susanne

 

Quellen:

Mary Karlin. Das große Buch vom Fermentieren

Heiko Antoniewicz. Buch „Fermentation“