Mikrobenzirkus

Keine Panik vor Bazille, Virus & Co


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Beeinflussen Darmbakterien unser Wunschgewicht?

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Bakteriengemeinschaft im Darm (CC0 Public Domain)

Bücher über unseren Darm sind derzeit en vogue. Seit dem Einsteigerbuch „Darm mit Charme“ der jungen Medizinstudentin Giulia Enders, die spannend und unterhaltsam erklärte, was wir mit dem Darm für ein hochkomplexes und wunderbares, nur leider extrem vernachlässigtes Organ haben, sind Darmbakterien und deren vielfältige Aufgaben ein Trendthema.

Die Erforschung dieses Ökosystems in unserem Inneren hat in den vergangenen Jahren enorme Fortschritte gemacht. Inzwischen weiß man, dass auch das Gewicht und das Wohlbefinden zu einem entscheidenden Teil von der Darmflora bestimmt werden. Die wissenschaftlichen Ergebnisse zeigen, dass es möglich ist, über die Ernährung Einfluss auf die Darmbakterien und den Verdauungstrakt und dadurch auch auf das Körpergewicht zu nehmen.

Und schon drängen Ratgeber mit entsprechenden Darmdiäten auf den Markt, wie zum Beispiel „Schlank mit Darm“, geschrieben von der Ernährungsexpertin Prof. Dr. med. Michaela Axt-Gadermann. Für mich war der Diätansatz nicht hauptsächlich interessant, wohl aber einige neue Erkenntnisse über das Zusammenspiel der unterschiedlichen Mitbewohner in der Wohngemeinschaft in unserem Darm im Zuge einer Ernährungsumstellung im letzten Jahr. Was ist aber dran am Konzept?  

Mit Darmbakterien zum Wunschgewicht?

Wieso können Darmbakterien also angeblich überhaupt unser Gewicht beeinflussen? Dazu müssen wir uns die Verhältnisse vor Ort genauer anschauen: Unser Darm bietet auf einer gefalteten Oberfläche von 500 Quadratmetern – oder zwei Tennisplätzen – viele „Zimmer“ für die Bewohner der Darmflora. Er ist unterschiedlich besiedelt vom Mund bis zum After. Die meisten Mikroben leben im Darm, wobei vier bis 5 Meter auf den Dünndarm entfallen. Richtig eng und gemütlich wird es erst im etwa 1,5 langen Dickdarm. Hier herrscht ein richtiges Gedränge, weil fast 99 Prozent aller Darmkeime sich hier aufhalten. Diese Bakterien-gemeinschaft (etwa 2 bis 3 Kilo) spielt eine enorme Rolle, wenn ein Mensch übergewichtig wird oder Stoffwechselstörungen wie Diabetes entwickelt.

Von dicken Mäusen und dicken Menschen  

Schon vor gut 10 Jahren fanden amerikanische Experten heraus, dass Mikroben einen Einfluss auf die Energieverwertung von Mäusen haben. Neuere Untersuchungen konnten zeigen, dass auch die Zusammensetzung der Mikrobengemeinschaft im Darm einen bestimmt, wieviel Energie aus der Nahrung gezogen wird. Im Labor von Jeffrey Gordon, Washington-Universität in St. Louis, wurden 4 weibliche Zwillingspaare untersucht, wobei jeweils eine Zwillingsschwester starkes Übergewicht hatte. Transferierte man nun über Stuhlproben die Darmbakteriengemeinschaften auf keimfrei gezogene Mäuse, zeigte sich ein überraschendes Ergebnis. Die Mäuse mit dem Darmmikrobiom der übergewichtigen Zwillingschwestern nahmen deutlich schneller an Gewicht zu (rund 20 Prozent mehr Körperfett), ohne viel mehr zu fressen. Die Mäuse mit den Bakterien der Schlanken behielten ihr Gewicht. Für dieses Ergebnis machten die Wissenschaftler die unterschiedlichen Bakteriengemeinschaften bei übergewichtigen und normalgewichtigen Menschen verantwortlich. Im Darm der übergewichtigen Zwillinge kamen deutlich weniger Bakterienarten vor.

Hielt man die dicken und die schlanken Mäuse zusammen in einem Käfig, konnte man noch eine überraschende Beobachtung machen. Die moppeligen Tiere fraßen den Kot der schlanken Artgenossen und damit die „schlankmachende“ Bakteriengemeinschaft. Sie verloren an Gewicht. Dieser Effekt blieb nur erhalten, wenn die Tiere eine ausgewogene und gesunde fettarme Ernährung mit reichlichen Ballaststoffen bekamen. Die „schlankmachenden“ Bakterien konnten sich sozusagen mit dem richtigen „Bakterienfutter“ dauerhaft im Darm der moppeligen Nager ansiedeln.

Auf dieser Erkenntnis basiert das Konzept der Bakteriendiät „Schlank mit Darm“. Mit einer speziellen Ernährungsumstellung sollen vermeintliche „Rank und Schlank-Bakterien“ im Darm zum Wachsen angeregt werden und die „Hüftgoldbakterien“ verdrängen. Wenn Sie also nett zu Ihrer Darmflora sind, verbrauchen Sie bis zu 10 Prozent mehr Kalorien pro Tag – so lautet ein Versprechen im Buch „Schlank mit Darm“. Die meisten Forscher bezweifeln diese simple Strategie. Wissenschaftliche Beweise, dass es so einfach auch beim Menschen funktionieren könnte, gibt es leider noch nicht.

Der Darm ein unerforschter Planet – „terra incognita“

Tatsächlich ist es so, dass die Erforschung des Darms – obwohl er direkt unter unserer Nase liegt- erst begonnen hat. An die 40 Billionen Bakterien trägt ein gesunder Mensch mit sich herum. Viele haben nicht mal einen Namen. Erst vor einiger Zeit hat der Wissenschaftler Henrik Bjørn Nielsen von Dänemarks Technischer Universität in Lyngby bei Kopenhagen 500 neue Mikroorganismen im menschlichen Darm nachgewiesen.

Klar ist aber: der Mensch und seine Darmmikroben stellen schon über einen sehr langen Zeitraum der Evolution eine Lebensgemeinschaft mit großem gegenseitigen Nutzen dar. Die Mikroorganismen erbringen in diesem ausgeklügelten Ökosystem eine enorme Stoffwechselleistung. Die Darmbakterien sind zum Beispiel sehr wichtig für die Energiegewinnung aus der Nahrung. Sie schließen etwa Zellulose auf und ziehen daraus Energie. Die Bakterien betreiben eine Mikronährstofffabrik, in der sie Vitamine z.B. Vitamin K oder B-Vitamine produzieren. Sie füttern mit ihren Stoffwechselprodukten die Darmzellen, die sonst verkümmern würden und Stimulieren das Immunsystem. Krankmachende Keime haben kaum eine Chance sich im Darm breit zumachen, wenn es den förderlichen schützenden Bakterien gut geht.

Das „WHO IS WHO“ der Darmbakterien

Vermeintliche „Schlankbakterien“

Die Bakterien der Bacteroides-Gruppe hemmen die Fettspeicherung und sorgen dafür, dass wir uns schneller satt fühlen. Sie gehören zu den schlechten Futterverwertern. Wir verdauen die Nahrung weniger gründlich und schieden deshalb fast 10 Prozent der aufgenommenen Kalorien wieder aus.

Die Bifidobakterien sind freundliche Gesellen und die Bodyguards im Darm. Sie verteidigen unseren Darm gegen unerwünschte Eindringlinge. Sie sind vor allem wenn Kinder gestillt werden in sehr großer Zahl vorhanden.

Das Bakterium Akkermansia municiphila lebt im Schleim, der die Darmzellen schützt, indem es den Darm renoviert und den Schleim auffrisst. Dadurch werden die Becherzellen angeregt, ständig neuen Schleim zu produzieren und die Barriere-Funktion des Darms damit aufrechtzuerhalten.

Vermeintliche „Hüftgoldbakterien“

Zur Gruppe der Firmicutes gehören einige unterschiedliche kleine Untergruppen. Sie waren in schlechten Zeiten für den Menschen von großem Vorteil, weil sie etwa in Hungersphasen mehr Kalorien aus der Nahrung ziehen können, die Fettpölsterchen fördern und deshalb heute sogar in der Tiermast eingesetzt werden. Zur Gruppe gehören Clostridien, Michsäurebakterien (Laktobazillen) oder Stapylokokken.

Wichtig: Die meisten Forscher bezweifeln stark, dass die verschiedenen Bakterienarten jeweils nur eine Aufgabe im Verdauungstrakt haben. Manche Firmicutes können Energie aus Pflanzenresten ziehen, die andere Mikroben gar nicht „knacken“ können. Es wäre leichtfertig, auf ihre Dienste zu verzichten. Denn sie wandeln die für den Menschen unverdaulichen Ballaststoffe in Substanzen um, die dem Körper zwar viel Energie zuführen, aber zugleich auch vor Darmentzündungen und wahrscheinlich sogar vor manchen Krebsarten schützen. Da wir das ausbalancierte Ökosystem im Darm heute noch nicht verstehen, wäre es wahrscheinlich keine gute Idee, die Firmicutes am Wachsen zu hindern.

Multikulti im Darm ist gut

So skeptisch man den Ratschlägen einer Darmbakterien-Diät gegenüberstehen kann, bei einigen Punkten herrscht unter den Mikrobenforschern dennoch schon heute Einigkeit.

  • Eine artenreiche Lebensgemeinschaft im Darm fördert die Gesundheit. Das gilt sowohl für unser Gewicht als auch für das Immunsystem. Artenreichtum schützt vor entzündlichen Leiden. Eine Studie des Biomediziners Oluf Pedersen von der Universität Kopenhagen zeigte, dass Übergewicht eng mit der Darmflora verknüpft ist: Menschen, deren Darm von zahlreichen unterschiedlichen Bakterienstämmen besiedelt ist, haben ein geringeres Risiko, dick zu werden, schreiben Pedersen und sein Team im Magazin Nature. Man kann die gesunde Darmflora über Probiotika unterstützen, wie z. B. probiotische Drinks oder andere fermentierte Nahrungsmittel wie Kefir, Sauerkraut oder Kimchi.
  • Keimtötende Arzneimittel wie z. B. Antibiotika oder desinfizierende Reinigungsmittel sollten nur in Notfällen eingesetzt werden. Sie gefährden die mikrobielle Vielfalt und Krankheiten wie Autoimmunleiden, Übergewicht und Stoffwechselstörungen, Asthma, Allergien, Infektionen u.a. könnten begünstigt werden. Die Arzneistoffe töten nämlich nicht nur Krankheitserreger, sondern alle Mikroorganismen – also auch Darmbakterien. Dass Antibiotika Übergewicht begünstigen, haben schon ältere Studien belegt. Wissenschaftler der New York University konnten zum Beispiel zeigen, dass Kleinkinder eher dicklich werden, wenn Ärzte sie schon vor ihrem sechsten Lebensmonat mit Antibiotika behandelt hatten.
  • Forscher empfehlen außerdem abwechslungsreiche Kost mit hohem Pflanzenanteil. Die Ballaststoffe darin bilden einen guten Nährboden für die verschiedensten Bakterien.
  • Die Ernährung sollte insgesamt fett- und kohlenhydratarm sein. Bei Fetten zu Omega-3-Fettsäurehaltigen Ölen wie Raps-, Lein-oder Walnussöl greifen.
  • Und etwas Sport natürlich…

 

Fazit: Auch wenn ich letztendlich nicht von der Darm-Diät „Schlank mit Darm“ überzeugt bin, hat mir das Buch doch einige spannende Zusammenhänge im Ökosystem Darm offengelegt. Verschiedene Tipps werde ich ausprobieren. Das Buch ist unterhaltsam geschrieben und lesenswert, die Gestaltung ist ansprechend mit zahlreichen Übersichtstabellen und Rezepten.

Wie ist Deine Meinung dazu?

Mikrobiologische Grüße

Susanne