
Credit: TEM of D. radiodurans acquired in the laboratory of Michael Daly, Uniformed Services University, Bethesda, MD, USA. http://www.usuhs.mil/pat/deinococcus/index_20.htm
Meet the Microbe 11/2015 – Deinococcus radiodurans
Das Superbakterium Deinococcus radiodurans wird im Guinness Book of World records als das „the world’s toughest bacterium“ gelistet. Und das aus gutem Grund.
Die Mikrobe ist das widerstandsfähigste Lebewesen auf der Erde. Säure, extrem kalte extrem oder heiße Temperaturen, Vakuum oder lange Trockenperioden machen ihr nichts aus. Besonders beeindruckend unter ihren Eigenschaften ist ihre Widerstandsfähigkeit gegenüber radioaktiver Strahlung.
Daher wird sie von manchen Wissenschaftlern auch als „Conan das Bakterium“ bezeichnet, nach dem gleichnamigen Filmhelden Conan, der Barbar, der mehrfach dem fast unausweichlichen Tode entkommt.
Deinococcus überlebt ohne Übertreibung die 1.500 fache Dosis an radioaktiver Strahlung, die andere Organismen schon vernichten würde. Die Mikrobe verträgt nach dem US-Forscher Michael Daly eine Strahlenbelastung von bis zu 10.000 Gray. Bereits 6 Gray sind für einen Menschen tödlich. Dabei ist Gray die Maßeinheit der physikalischen Größe, welche die Wirkung von Strahlung ausdrückt.
Entdeckung in der Konserve
Das ungewöhnliche rote kokken-förmige Bakterium mit der damals unbekannten Resistenz gegen Ultraviolett- und Röntgenstrahlung wurde Ende der 1950er Jahre in einem landwirtschaftlichen Labor von Arthur W. Anderson entdeckt. Dort wurden Fleischkonserven mit hohen Dosen radioaktiver Gamma-Strahlung sterilisiert. Doch Deinococcus radiodurans wuchs und vermehrte sich fröhlich weiter. Dem wollte man auf den Grund gehen.
Bruchsicheres Erbmaterial
Welche biologischen Mechanismen schaffen eine solche Supermikrobe, die so widerstandsfähig gegen Strahlung ist? Zum einen hat das Bakterium eine sehr starke Zellwand, die es vor UV-Strahlung schützt. Das aber allein reicht natürlich noch nicht.
Der Mikroorganismus hat besondere Reparaturmechanismen, um sein Erbgut, also seine DNA, außergewöhnlich gut und schnell zu reparieren, wenn durch die Einwirkung von radioaktiver Strahlung z.B. Brüche entstanden sind. Also eine Art zerstörungssichere DNA. Die Reparatur wird durch bestimmte Enzyme übernommen, die die DNA oder die Chromosomen schnell wieder instandsetzen. Sogar Doppelbrüche können schnell repariert werden. Deinococcus ist von der ganz schnellen Truppe und kann 500 solcher Reparaturen in derselben Zeit durchführen, in der das Darmbakterium E. coli etwa 2-3 schafft.
Eine weitere clevere Strategie ist die Organisation der DNA bei Deinococcus in einer besonderen ringförmigen Struktur, einem „Toroid“. Diese hindert die Bruchstücke nach der Schädigung durch die Strahlung daran, von der Zellflüssigkeit weggeschwemmt zu werden. Das Erbmaterial wird trotz der Brüche am Platz gehalten, ähnlich wie bei einer bruchsicheren Verbundglasscheibe beim Auto und das Puzzle kann später schneller zusammengesetzt werden (Science-Studie von Smadar Levin-Zaidman vom Weizmann-Institut in Rehovot). Das Bakterium verliert damit keine Information.
Schließlich wird noch ein weiterer Trick genutzt. Ein doppelter Korrekturdurchlauf als Selbstreparaturmechanismus. Es liegen vier bis zehn Kopien des Genoms vor. Diese werden als Vorlage für einen zweiten Durchlauf genutzt, der Fehler in der anderen Kopie ausgleicht. Nur am Rande: Beobachtet wurde ein ähnlicher Reparaturmechanismus z.B. nur bei der männlichen Spermienzelle des Menschen, der eine ähnlich ringförmige DNA-Struktur aufweist, als Schutz vor radioaktiver Strahlung.
Science fiction oder Anpassung?
Das wirft gleich die nächste Frage auf. Warum verfügt eine Mikrobe auf der Erde über diese extremen Fähigkeiten im Umgang mit radioaktiver Strahlung? Welcher Evolutionsdruck hat dafür gesorgt, dass sich dieser „echte Held“ unter den Mikroorganismen entwickelte, obwohl nirgendwo auf der Erde diese Bedingungen anhaltend vorherrschen. Science fiction- Szenarien von unterirdischem Höhlen voller Radium oder unterirdische Kernreaktoren längst vergangener Zivilisationen natürlich sowieso ausgenommen.
Am wahrscheinlichsten ist eine Anpassung an Wassermangel. Denn extreme Austrocknung setzt die DNA unter ähnlichen Stress wie Strahlung. So ist es eher eine Anpassung der Spezies, schon vor langer Zeit, an sehr trockene Umgebungen.
Das Genom des aus mehr als drei Millionen Basenpaaren bestehenden Mikroorganismus wurde von Wissenschaftlern vom Institute for Genomic Research (TIGR) im November 1999 sequenziert. Dabei wurden bereits erste Hinweise gefunden, die zur Fähigkeit beitragen, unter Bedingungen der Nahrungsknappheit und des oxidativen Stresses große Schädigungen der DNA zu überleben.
Generalist und Weltenbummler
Wo ist das natürliche Habitat der Mikrobe Deinococcus? Die Bakterien können zusammen mit einer bestimmten Gattung von Cyanobakterien unter härtesten Lebensbedingungen leben. Man bezeichnet sie daher auch als „Extremophile“ in diesem Fall sogar als „poly-extremophil“.
Sie kommen eher sehr unwirtlichen Gegenden vor, wie im Lama-Elefanten-Kot, auf Fischen oder Enten, im radioaktiven Abfall oder in antarktischen trockenen Tälern vor. Die Bakterien finden auch an den lebensfeindlichsten Orten noch eine ökologische Nische und sind überall vertreten, auch in Kühlwasserkreisläufen von Atomreaktoren oder im Darm von Menschen.
Abgewanderte Marsmikrobe?
Der Überlebenskünstler Deinococcus ist natürlich von großem Interesse für die Astrobiologie und ein ganz heißer Kandidat für die Suche nach Leben im Weltall. Welche Organismen könnten sonst die Reise in einem Meteoriten durch den Weltraum überstehen, als solche die sehr widerstandsfähig gegenüber Strahlung und Vakuum sind.
Das stützt auch die These der Panspermie, die besagt, dass einfache Lebensformen in der Lage sind, sich über große Distanzen durch das Universum zu bewegen. Einige könnten vor etwa 3,5 Milliarden Jahren den Weg gefunden haben und den Ursprung des Lebens auf der Erde begründet haben. In diesem Zusammenhang stellten Forscher 2002 im New Scientist die These auf, dass es sich bei Deinococcus radiodurans um eine abgewanderte Marsmikrobe handelt. NASA- Wissenschaftler hielten zuvor schon ein anderes Modell für möglich: eine uralte Mikrobe landet mit einem Meteor auf unserem roten Planeten wurde Basis des Lebens darauf.
Wahrscheinlich stimmt diese These nicht, aber eine geheimnisvolle Vergangenheit steht auch Conan, dem Bakterium für sein Marketing sehr gut.
Datenspeicher für die Zukunft
Als Datenspeicher für die Ewigkeit sind CD, Festplatte oder Papier nicht geeignet. Die besonders widerstandsfähigen Bakterien sind also auch als überdauernder Informationsträger interessant. Die Daten können in Form von künstlicher DNA in den Bakterien gespeichert und später wieder abgerufen werden. US- amerikanische Wissenschaftler haben zum Beispiel den Text des englischen Kinderliedes „It’s a Small World“ in den genetischen Code aus den vier Basen der DNS übersetzt und diese Sequenz in das Erbgut der Bakterien eingeschleust.
It’s a small world after all
It’s a small world after all
It’s a small world after all
It’s a small, small world
Disney – It’s A Small World Lyrics | MetroLyrics
Noch nach etwa 100 Bakteriengenerationen ließen sich die Sequenzen wieder auslesen. Die eingebrachte Information wurde als stabil abgespeichert und zusätzlich noch vermehrt durch die Vervielfältigung der Bakterien.
Kleiner Nachteil dabei: man kann leider nur sehr wenig Information abspeichern. Die Daten für den kurzen Liedtext mussten in vielen Bakterienspeichern abgelegt und nach dem Auslesen wieder in die richtige Reihenfolge gebracht werden. Also etwas mühselig für die Nachrichtenübermittlung an unsere zukünftigen Generationen im Vergleich zu den üblichen Datenspeichern.
Retter für die biologische Sanierung
Bei der Herstellung von Atomwaffen entsteht radioaktiver Giftmüll, der schwer zu entsorgen ist. Zwar existieren Mikroben, die z.B. Uran fressen wie Geobacter metallireducens, der aber verträgt die radioaktive Strahlung nicht gut. Hier könnte nun Deinococcus der Retter sein.
Leider ist das Bakterium zwar strahlungsresistent, aber findet wiederum den Giftmüll nicht „lecker“, verwertet ihn also nicht. Damit ist es als Entseuchungshelfer nicht gut einsetzbar. Es sei denn man schleust Gene aus den giftmüllfressenden Supermikroben in Deinococcus ein. Das wäre eine sehr elegante Lösung für ein kompliziertes und durch uns Menschen selbst gemachtes Problem.
Fallen Dir noch weitere interessante Fakten zu Deinococcus ein?
Dann freue ich mich über einen Kommentar von Dir!
Quellen:
„Ringlike Structure of the Deinococcus radiodurans Genome: A Key to Radioresistance?“ in „Science“ (Bd. 299, S. 254) erschienen.
Kim, J.I. & Cox, M.M. The RecA proteins of Deinococcus radiodurans and Escherichia coli promote DNA strand exchange via inverse pathways. Proc Natl Acad Sci USA 99, 7917-7921 (June 11, 2002)
Kleine Wunderwerke. Die unsichtbare Macht der Mikroben. Idan Ben-Barak. Spektrum Akademischer Verlag 2010
9. August 2017 um 10:52 Uhr
Guten Tag Frau Thiele
Ein wirklich spannender Artikel mit interessanten Gedanken über den Einsatz und die Herkunft der Deinococcus Bakterien. Wie Sie schreiben hat man das Bakterium u.a. auch im menschlichen Darm gefunden. Weiss man welche Rolle dieses Bakterium dort spielt?
Freundlicher Gruss
13. August 2017 um 19:57 Uhr
Lieber Herr Aebi,
vielen Dank wieder einmal für Ihr positives Feedback zum Artikel. Dass Deinococcus auch im menschlichen Darm vorkommt, ist nicht weiter verwunderlich. Das Bakterium verfügt über Reparaturmechanismen, welches es als Weltenbummler und Generalisten sozusagen perfekt qualifizieren. In der Darmflora kommen viele Mikroben vor (Gesamtmasse zwischen 1000 und 2000 Gramm), von denen sich nur etwa 50 Prozent überhaupt kultivieren lassen. Daher sind viele Funktionen bisher noch nicht aufgeklärt. In der englischen Literatur verweist man auf die Fähigkeit von Deinococcus, organische und anorganische zelltoxische Komponenten entgiften zu können. Außerdem kann er Zucker und polymere Zucker degradieren und metabolisieren. Das macht ihn auch für die Industrie interessant.
Ich hoffe, das hilft etwas weiter.
Herzliche Grüße, Susanne Thiele