Gastartikel von Dr. Elisabeth Zelle (Forschungszentrum Jülich GmbH, Institut für Bio- und Geowissenschaften)

Schon lange stehen Mikroorganismen im Dienste der Menschheit, helfen uns bei der Herstellung von Wein, Bier, Brot, Käse und vielem mehr. Auch bei der Produktion von Medikamenten wird vielfach auf Mikroorganismen zurückgegriffen. Man denke zum Beispiel an Penicilline und Insulin. Die Palette biotechnologisch hergestellter Produkte wächst stetig. Doch was sind eigentlich die wirklich großvolumigen Produkte der industriellen Biotechnologie – sozusagen die Big Five der weißen Biotechnologie? Mit welchen Mikroorganismen erzielt man die Weltproduktion von Millionen von Tonnen biotechnologischer Produkte? Zu den bedeutendsten Produkten gehören Ethanol, Glutamat oder Zitronensäure. Die Liste an Produkten, von denen jährlich mehr als 10.000 Tonnen produziert werden, umfasst zudem Essigsäure, Amylase und noch einige mehr. Jedes dieser Produkte hat seine eigene bakterielle Zellfabrik, also einen Mikroorganismus, der auf die Herstellung optimiert ist.
Platz 1

Saccharomyces cerevisiae (Bäckerhefe)
(Quelle: Wikipedia)
Angeführt wird die Liste dieser Zellfabriken von Saccharomyces cerevisiae. Umgangssprachlich als Bäckerhefe bekannt, wird sie schon seit Jahrtausenden (anfangs unwissentlich) zum Brauen und Backen verwendet. Mittlerweile ist S. cerevisiae auch verantwortlich für das mengenmäßig mit Abstand größte Produkt aus biotechnologischer Herstellung – Bioethanol. Die Hefe produziert pro Jahr nicht weniger als 71 Millionen Tonnen Ethanol weltweit. Es gibt vornehmlich drei Gründe für diese herausragende Leistung: die hohe Zucker- und Ethanol-Toleranz, die hohe Ausbeute und die Temperatur- und pH-Toleranz, die eine hohe Robustheit des industriellen Prozesses ermöglichen. Mengenmäßig gesehen ist der Vorsprung vom S. cerevisiae vor den anderen vier groß.
Platz 2

Corynebacterium spec.
(Bildquelle: melag-diamed-ru)
Auf Platz 2 kommt Corynebacterium glutamicum als Leistungsträger bei der industriellen Produktion von Aminosäuren, allen voran Glutaminsäure (3.3 Millionen Tonnen pro Jahr) und Lysin (2.2 Millionen Tonnen pro Jahr). Das Bodenbakterium wurde 1957 in Japan als natürlicher Glutaminsäure-Produzent entdeckt und ist mittlerweile ein echter Allrounder. C. glutamicum wird heute für die umweltschonende biotechnologische Herstellung von Produkten im Wert von jährlich mehreren Milliarden Euro pro Jahr eingesetzt – Tendenz steigend.
Platz 3

Aspergillus niger
Lizenz CC BY-SA 3.0
Die nächste Zellfabrik auf der Bestenliste ist ein Pilz. Der Schimmelpilz Aspergillus niger belegt Platz 3, als gewinnbringender Produzent von Zitronensäure. Zitronensäure steckt nicht nur in Limonaden. Neben der Aromatisierung von Getränken, Süßigkeiten und Badezusätzen kann sie auch als Säurungsmittel, Antioxidans, Konservierungsmittel und Reinigungsmittel verwendet werden – also ein äußerst vielseitiger Haushaltshelfer.
Während die Substanz früher aus Zitrusfrüchten gewonnen wurde, stammt mittlerweile die gesamte Weltproduktion aus einem Verfahren, für das der Schimmelpilz Aspergillus niger genutzt wird.
Platz 4

Essigsäurebakterien
Quelle: Spektrum
Viele Herstellungsverfahren wurden lange vor der Entdeckung von Mikroorganismen oder dem Verständnis der zugrundeliegenden Prozesse angewandt – zu ihnen gehört die Essigsäure, genauer gesagt biogene Essigsäure. Essig ist als Genuss-, Würz- und Putzmittel ein Universalhelfer in Küche, Bad und Garten. Die Oxidation von Ethanol zu Essigsäure ist – abgesehen von der alkoholischen Gärung – eine der ältesten Anwendungen eines biotechnischen Verfahrens. Schon von Anfang ankamen Essigsäurebakterien wie z.B. Acetobacter europaeus, A. aceti oder Gluconobacter oxydans als Erzeuger von Essigsäure zum Einsatz.
Es handelt sich also um eine überaus ertragreiche Verbindung der Plätze 1 (Ethanol) + 3 (gleicher Einsatzort). Jährlich werden ungefähr 0.2 Millionen Tonnen biogener Essigsäure produziert, woraus wiederum mehrere Milliarden Liter Essig hergestellt werden.
Platz 5

Bacillus licheniformis
Lizenz CC BY-SA 4.0
Zu guter Letzt gehört zur bunten Belegschaft der fünf mengenmäßig bedeutsamsten Mikroorganismen der industriellen Biotechnologie noch Bacillus licheniformis. Wenn es darum geht, schmutzige Wäsche zu waschen, dann kommt man an Enzymen – u.a. Amylasen und Lipasen, welche von B. licheniformis produziert werden – nicht vorbei. In Waschmitteln bauen solche Enzyme Schmutzreste ab und bescheren uns eine saubere Weste. Da u.a. dank des Einsatzes solcher Enzyme die Waschmittelmenge pro Waschgang stark reduziert werden konnte, fällt die Jahresproduktion mit etwas über einer Kilotonne vergleichsweise gering aus. Doch Masse ist nicht alles.
Abseits der Massenproduktion kümmert sich die Biotechnologie auch um äußerst hochwertige Produkte, z. B. Pharmaprodukte. In der Pharma-Industrie ist Menge nicht gleich Nutzen. Noch vor wenigen Jahrzehnten gab es für bestimmte Krankheiten (z.B. die Bluterkrankheit) keinerlei Medikamente. Der Blutgerinnungsfaktor Faktor 8 hilft 400.000 Menschen weltweit trotz ihrer Krankheit ein aktives Leben zu führen. Obwohl jährlich über 60 Millionen Injektionslösungen benötigt werden – also fast genauso viel wie die jährlich produzierten Ethanol-Tonnen – beläuft sich die Jahresproduktion auf nur wenige Hundert Gramm. Auch weniger als ein Pfund kann also milliardenschwer sein.
Das Angebotsspektrum der Biotechnologie ist groß und bunt. Je nachdem um welchen Zweig der Biotechnologie es geht, variieren auch die Anforderungen. Während manche Mikroorganismen Allround-Talente sind, zeichnen sich andere nur in bestimmten Bereichen aus. Das ist auch der Grund warum ein überaus bekannter Vertreter „fehlt“ – Escherichia coli! E. coli verdankt seine Popularität mehr der wissenschaftlichen Forschung und der Pharma-Industrie (hier speziell die Insulin-Produktion), doch das ist eine andere (Erfolgs)Geschichte.
Habt ihr Fragen zum Artikel, dann schickt mir gern einen Kommentar und ich leite gern direkt an Dr. Elisabeth Zelle weiter.
Oder habt ihr sogar Lust bekommen, auch einen Mikroorganismus in einem Gastartikel im Mikrobenzirkus vorzustellen, mit dem ihr arbeitet – dann schickt mir gerne hier eine Nachricht,
Mikrobiologische Grüße
Susanne