Mikrobenzirkus

Keine Panik vor Bazille, Virus & Co

Migräne: Sind Bakterien schuld?

10 Kommentare

brain-1845962_1920_CCO

Migräne bedeutet weit mehr als übliches „Kopfweh“. Rund 15 Prozent der Bevölkerung leiden unter Migräne. Frauen häufiger als Männer. Im Schnitt erleiden die meisten zwei Attacken im Monat, die jeweils bis zu drei Tage dauern. (Quelle: CC0_Public Domain)

Da ich – wie 15 Prozent der Bevölkerung – in Abständen heftige Migräneattacken bekomme, verfolge ich interessiert neue Forschungsansätze und Theorien zur Vorbeugung und Behandlung. Neue Theorien zur Migränevorbeugung stehen im engen Zusammenhang mit dem Vagusnerv oder mit einem „Nitratkopfschmerz“.

Gehirn und Darm eng verbunden

Der Vagusnerv zieht seine Bahn vom Gehirn aus in den Bauchraum und ist an der Regulation fast aller inneren Organe beteiligt. Er kontrolliert Funktionen wie unseren Herzschlag, die Atmung, Verdauung. Einige Forscher gehen davon aus, dass ein Zusammenhang zwischen Migräne und dem Mikrobiom besteht – die bei jedem Menschen individuelle Gesamtheit der Mikroorganismen im Darm.

„Die Bakterien haben einen Einfluss auf die Barriere-Funktion der Darmwand, die Gifte und schädliche Keime am Eindringen hindert. Bei einer Darmentzündung etwa ist dieser Mechanismus gestört. Es gibt Hinweise, dass das Mikrobiom auch auf Entzündungszellen im Hirn wirken kann.“
Andreas Straube, Leiter der Neurologischen Poliklinik am Klinikum Großhadern und Präsident der Deutschen Migräne- und Kopfschmerzgesellschaft

anatomy-160524_1280 CC0 Public Domain

Hintergrund dafür ist die Vermutung, dass nicht allein das Gehirn über Nerven Informationen an den Darm sendet, sondern dass diese Kommunikation auch umgekehrt läuft. Bezogen auf die Migräne lautet die These, dass bestimmte Bakterienstämme in der Darmwand über den Vagusnerv als Verbindung zum Gehirn Attacken begünstigen können.

 

Daraus ergibt sich der Umkehrschluss: eine gezielte Veränderung der Darmflora müsste helfen können, Anfälle zu verhindern. Migräne hat häufig auch mit Beschwerden des Magen -Darm-Traktes zu tun.
Aktuell laufen im Team von Andreas Straube kleine Studien mit bestimmten Probiotika, welche die Darmflora von Migränepatienten verändern sollen. Erste positive Effekte sind zu sehen. Es sind aber noch weitere umfangreiche Forschungen notwendig, um tatsächlich zu klären, ob man so Migräne lindern kann.

Mundflora möglicher Triggerfaktor

Spinat_top-view-1248955_1920_CC0

Grünes Blattgemüse sorgt bei manchen Menschen für Kopfschmerzen. Dabei könnte es sich um einen Nitratkopfschmerz handeln, verursacht durch bestimmte Bakterien, die in der Mundflora leben. (CC=_Public Domain)

 

Eine weitere neue Theorie konzentriert sich besonders auf die Bakterienflora im Mund von Migränepatienten. Der Verzehr Nitrathaltiger Lebensmittel könnte bei einigen Betroffenen Kopfschmerzattacken auslösen.

Nitrat kommt zu Beispiel in Wurst, Rote Beete, Kohlrabi oder grünem Blattgemüse wie Spinat vor. Manche Menschen bekommen nach dem Verzehr dieser Lebensmittel Kopfschmerzen. In Untersuchungen verursachte auch medizinisch verabreichtes Nitrat – etwa aus Nitrosprays für Patienten mit Angina Pectoris oder Herzinsuffizienz – bei vier bis fünf Anwendern starke Kopfschmerzen aus. Welche Gründe sehen die Forscher?

Bakterien reduzieren Nitrat

Pseudomonas

In der Mundhöhle leben Bakterien, die Nitrate aus der Nahrung zu Nitrit reduzieren können, z.B. die Gattungen Pseudomonas oder Streptokokken. Wir Menschen verfügen selber nicht über ein entsprechendes Enzym dazu.
Im Blutkreislauf kann Nitrit dann zu Stickstoffmonoxid (NO) umgewandelt werden, welches gefäßerweiternd wirkt.
Eine starke Weitung der Adern im Gehirn gilt als wahrscheinlicher Auslöser plötzlicher Migräneattacken. Verzögerte Attacken, zum Beispiel nach dem Verzehr von triggernden Lebensmitteln, werden vermutlich durch andere Mechanismen ausgelöst (darunter die NO-abhängige S-Nitroyslierung).

„Bisher wurde angenommen, dass gewisse Lebensmittel – darunter Schokolade, Wein und nitratreiche Speisen – Migräne auslösen oder ihr Auftreten zumindest begünstigen können. Daher vermuteten wir, dass eventuell ein Zusammenhang zwischen der Ernährung, den Mikrobiomen eines Menschen, und dem Auftreten von Migräne besteht. “
Antonio Gonzalez, Hauptautor der unten genannten Studie im Journal MSystems,

In einer  Mikrobiomanalyse fand das Team um Prof. Dr. Rob Knight von der San Diego School of Medicine in Kalifornien heraus, dass bei Migränikern mehr Nitrat-reduzierende Bakterien in der Mundhöhle vorkommen als bei anderen Menschen. Die Forscher hatten das Mikrobiom in Kot- und Speichelproben von Menschen, die unter Migräne leiden aus dem „American Gut Project“ analysiert, wie sie im Journal MSystems beschrieben. Dabei stellten die Forscher fest, dass Menschen, die häufig unter Migränen litten, mehr nitratreduzierende Bakterien aufwiesen. Insgesamt wurden über 170 Oral- und 2.000 Stuhlproben analysiert.

„Wir konnten feststellen, dass die im Mund vorkommenden Bakterien sich in Maßen positiv auf das Herz-Kreislauf-System auswirken. Im Überschuss wurden sie allerdings mit Migräne-Anfällen in Verbindung gebracht. Bisher ist noch unklar, ob die erhöhte Anzahl von Mikroben Auslöser oder Folgeerscheinung einer Migräne ist.“
Dr. Embriette Hyde

Noch unklare Erkenntnis: Weitere Studien notwendig

Obwohl die Migräne-Erkenntnisse natürlich revolutionär wirken und mögliche Erklärungen liefern könnten, ist der Zusammenhang von Nitrat und den Attacken noch nicht eindeutig bestätigt. Es ließe sich schwer beurteilen, ob die erhöhte Anzahl der Nitrat-reduzierenden Bakterien in den Speichelproben eine zufällige Begleiterscheinung sei oder tatsächlich mit einer Unverträglichkeit von Blatt- und Wurzelgemüse zusammenhängt.
Weitere Studien sollen es sich zur Aufgabe machen, genau diese Antwort zu liefern, um betroffenen Patienten bei der Vermeidung von quälenden Schmerzattacken behilflich zu sein. Falls ein Zusammenhang besteht, könnten zukünftig einmal Probiotika zur Migräneprohylaxe entwickelt werden.

Link zur Publikation:

Migraines are correlated with higher levels of nitrate-, nitrite-, and nitric oxide-reducing oral microbes in the American Gut Project Cohort,” wurde online publiziert am 18. Oktober 2016  im Journal  der American Society for Microbiology.

Wie immer freue ich mich über deine Kommentare oder Anregungen.

Mikrobiologische Grüße

Susanne


Entdecke mehr von Mikrobenzirkus

Melde dich für ein Abonnement an, um die neuesten Beiträge per E-Mail zu erhalten.

Autor: Susanne Thiele

Biologin und Wissenschaftsautorin aus Braunschweig www.susanne-thiele.de

10 thoughts on “Migräne: Sind Bakterien schuld?

  1. Hintergrund:
    ich „leide“ seit über 25 Jahren an einer „Migräne mit Aura“ manchmal auch als „Augenmigräne“ bezeichnet –
    ich habe die Form mit den visuellen Irritationen (die dann zum Verlust der Sehkraft durch Lichtblitze und Flimmern führt und danach 4 bis 12 Stunden Kopfschmerz bereitet).

    Seit langem schon ist mein Mikrobiom mein wichtigster Freund (geworden) und nach 12 Jahren „Beschäftigung“ damit (Umstellung meiner Ernährung), kann ich hier mal Folgendes berichten:

    Ich nehme seit ca. 11 Jahren viele „Ballaststoffe“ ein in Form von z.B. Inulin, Tapioka und Flohsamenschalen.
    Mein durchschnittlicher Tagesverbrauch liegt bei ca. 35 bis 45 Gramm dieser Stoffe (ja, vielen vermeintlich „wissenschaftlichen Papers“ entgegen).
    Zusätzlich konsumiere ich viel fermentiertes Gemüse (neuerdings auch fermentierte Pilze – ein absoluter Leckerbissen), aber auch sehr regelmäßig Wasserkefir, bzw. Kombucha.

    Bei meinen Experimenten stieß ich in diesem Zusammenhang auch auf Kartoffelstärke (==> resistente Stärke).

    Es gibt einen Zusammenhang (bei mir) mit der Kartoffelstärke!

    Ich kann 50 Gramm Inulin (sowohl aus Chicorée oder aus Agave) konsumieren, oder entsprechend Tapioka –
    bei mir bleibt alles normal (kein Pupen – keine Darmauffälligkeiten – alles fühlt sich gut an), ich vertrage alle Käsesorten (oder sonstige fermentierte Milchprodukte).

    Sobald ich allerdings Kartoffelstärke anwende (und hier reicht ein Teelöffel voll), kann ich vier bis sechs Stunden später die Fenster verdunkeln und meine Migräne auswimmern.
    Ich habe in mehreren (schmerzhaften) Versuchen immer wieder diesen unmittelbaren Zusammenhang erlebt.
    Ich kann ihn jederzeit exakt reproduzieren.
    Und in meinem „früheren“ Leben war es immer wieder der Fall, dass ich „unerwartet“ eine Migräneanfall bekam (zu unterschiedlichen Tageszeiten, in unterschiedlicher Frequenz).
    In einigen (vielen) teil(oder voll)verarbeiteten Nahrungsmitteln wird Kartoffelstärke zugesetzt.
    Hier wäre mein Zusammenhang mit diesen „aus dem Off“ auftretenden Anfällen als ein klarer Zusammenhang zu sehen.

    Es muss nicht NUR die Kartoffelstärke sein – bei mir ist sie aber ein 100%-Auslöser.

    Ich will hier wirklich ausdrücklich nicht „verallgemeinern“ – ich möchte hier lediglich meine individuelle Geschichte wiedergeben mit dem eindeutigen Zusammenhang durch die Kartoffelstärke.
    Vermutlich sind die Zusammenhänge im Darm vielschichtiger zu untersuchen (Histaminintoleranz) – aber durch die Kartoffelstärke scheint sich etwas so zu verändern, dass dessen Auswirkungen dann als Migräne auftreten – und ja: es war „biologische“ Kartoffelstärke aus Demeteranbau (könnten ja auch sonstige Gifte sein) – und ja – ich habe mehrere Hersteller probiert (um behandlungs- oder herstellungsverfahrenbedingte Zusammenhänge auszuschliessen).

    Soviel zu meiner Geschichte mit dem Darm, den Bakterien und der Migräne.

  2. Super interessanter Blog, auf dem ich tatsächlich noch viele neue Erkenntnisse erhalte, obwohl die Themen Migräne und Darm mich schon länger beschäftigen. Ich freue mich auf weitere Artikel 😊

  3. Pingback: Mikroben, Fermente, neue Buchprojekte – Rückblick 2017 | Mikrobenzirkus

  4. hat man dann noch Morbus Crohn mit anlagebedingter Barrierestörung und Parodontitis…dann ist die Migräne vorprogrammiert..danke für den Artikel…im Selbstversuch teste ich schon länger selbstgemachten Kefir und EM die ich auch selber ansetze…

  5. Wow, das sind ja mal echt neue Erkenntnisse, von denen ich noch nichts gehört habe. Aber ich werde da mal speziell bei der Deutschen Schmerzliga e.V. eine Anfrage starten. Ach so, da bin ich übrigens Mitglied und leite ja selbst seit über nunmehr 12 Jahren eine Schmerzgruppe für chronisch Kranke. Lg Beate

    • Liebe Beate, sicherlich ein neuer Ansatz zur Vorbeugung von Migräne aber wie immer in der Grundlagenforschungsind noch viele Studien nötig, ehe eine Therapie daraus wird. LG Susanne

      • Da hast du sicher recht und jeder Migräniker hat ja auch seine eigenen Trigger, die eben sehr speziell sind. Bei den einen ist Rotwein, bei anderen kann es dir Genuss von Käse sein oder auch Wetterumschwung. Das ist wirklich ein ganz spezielles gibt. Vielleicht werde ich darüber demnächst selbst mal wieder einen entsprechenden Artikel verfassen. Trotzdem Danke und ich werde mich auf jeden Fall mit der Deutschen Schmerzliga e.V. In Verbindung setzen und um eine Stellungnahme hierzu bitten. Denn die neuesten Infos aus der Forschung erreichen mich eigentlich auch. Bisher kam da noch nix, was nichts heißen mag.

  6. Das klingt sehr interessant. Ich schicke den Link gleich mal an meine Mutter. Mal sehen, was sie dazu sagt.
    Ich wünsche dir ein schönes und migränefreies Wochenende!

    Liebe Grüße
    Mona

Kommentar verfassen

Diese Website verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre mehr darüber, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden.

Entdecke mehr von Mikrobenzirkus

Jetzt abonnieren, um weiterzulesen und auf das gesamte Archiv zuzugreifen.

Weiterlesen