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Lecker Plastik für Bakterien

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Mikrobe des Monats 03/2016 – Ideonella sakaiensis.

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Plastikflaschen stehen auf der Speisekarte von Bakterien (CC0 Public Domain)

In diesem Monat drängt sich ein gerade „frisch entdecktes“ Bakterium förmlich für einen Beitrag zur Mikrobe des Monats auf – das Bakterium Ideonella sakaiensis 201-F6. Ganz oben auf der Speisekarte des ungewöhnlichen Mikroorganismus steht Plastik- vor allem die transparenten Flaschen aus dem Kunststoff PET – Polyethylenterephthalat.

Eigentlich sieht die Ideonella aus wie ein ganz gewöhnliches Bakterium, aber seine besonderen Stoffwechselfähigkeiten machen es zu einem Helden. Japanische Forscher um Shosuke Yoshida vom Kyoto Institute of Technology haben die Bakterien in einer Recycling-Anlage für Plastik entdeckt und die Studie im Fachmagazin „Science“ veröffentlicht. Das Bakterium ist in der Lage, den PET-Kunststoff in wenigen Wochen restlos zu zersetzen und dabei sogar noch äußerst effektiv Energie gewinnen. Nur bei bestimmten Pilzen waren bisher solche Fähigkeiten bekannt.

Hilfe für Plastik-Ozeane?

Bislang ging die Forschung noch davon aus, dass die Flaschen aus PET – nicht von Bakterien oder Kleinstlebewesen verdaut werden können. Es dauert etwa 450 Jahre, bis sich eine Kunstofflasche zersetzt hat, schätzt das Umweltbundesamt. Durch das Sonnenlicht und das salzige Meerwasser löst sich das Plastik zwar in kleine Schnipsel auf, komplett zersetzt wird es aber nicht. Kleinste Partikel, die sogenannte „Mikroplastik“ verbleibt in Meeren und Gewässern oder findet sogar den Weg zurück über die Nahrungskette in den Menschen.

Eine plastikfressende Mikrobe wäre eigentlich ziemlich praktisch, könnte man sich nun denken. Hat sich endlich ein glücklicher Abnehmer für die riesigen Mengen an Plastikmüll gefunden, die jedes Jahr produziert werden und im Meer, in Flüssen und im Erdboden landen. Mehr als 300 Millionen Tonnen Kunststoff werden jährlich weltweit produziert, darunter etwa 50 Millionen PET. Wir müllen langsam die Erde mit Plastik zu. Aber die Natur scheint sich selbst zu helfen.

Plastikverwerter mit Spezialenzymen

Plastic-Eating-Bacterium

Plastikfressendes Bakterium (Kohei Oda/Kyoto Institute of Technology)

Der japanische Forscher Yoshida und sein Team gingen davon aus, das bestimmte Mikroben die Stoffwechselfähigkeit zum Kunststoffverdauen entwickeln könnten. So suchten sie ganz gezielt an Orten mit einem großen Nahrungsangebot an PET, wo die natürliche Auslese diese Arten begünstigen würde. Und sie wurden fündig. Sie beobachteten, dass die Bakterien bei 30˚ Celsius nur sechs Wochen brauchten, um einen dünnen Plastikfilm fast komplett zu zersetzen. Das ist schon viel schneller im Vergleich zu den üblichen 450 Jahren! Im Stoffwechsel des Bakteriums sind dazu zwei Spezialenzyme vorhanden.

Die Bakterien siedeln sich an der rauhen Plastikoberfläche an und sondern ein erstes Enzym ab – die PETase. Dieses bricht die chemischen Bindungen im Kunststoff PET auf. Ein Zwischenprodukt entsteht. Mit einem zweiten Enzym der MHETase wird es in die Grundbausteine Glykol und Terephthalsäure gespalten. Diese Produkte kann das Bakterium direkt zur Energiegewinnung nutzen. Nur Kohlenstoff und Wasserstoff bleiben übrig.

Schnelle Evolution der Bakterien

Für die Forscher ist es noch rätselhaft, warum die Bakterien ihre beiden hochselektiven Enzyme für den Plastikabbau entwickelt haben. Die Enzyme waren bisher so nicht bekannt und ähneln auch anderen Enzymen nicht. Zudem gibt es den Kunststoff PET erst seit rund 70 Jahren. Für eine evolutionäre Anpassung der Bakterien an das Nahrungsangebot PET wäre das eine extrem kurze Zeit.

Neue Chancen in Sachen Müll

Die Forscher hoffen jetzt, dass sie einen wichtigen Beitrag gegen die wachsende Umweltverschmutzung durch Plastikmüll leisten können, etwa durch wirksameres Recycling von Kunststoffabfällen. Bisher ist Ideonella sakaiensis noch etwas zu langsam, um das globale Müllproblem zu lösen. Die Spezialenzyme könnten aber in andere, schnellere Stämme eingebracht werden.

Fazit: Die Entdeckung von Ideonella ist der Startschuss für weitere Forschung und neue Chancen in der Beseitigung von Plastikmüll.

Quelle:

Shosuke Yoshida, Kazumi Hiraga, Toshihiko Takehana, Ikuo Taniguchi, Hironao Yamaji, Yasuhito Maeda, Kiyotsuna Toyohara, Kenji Miyamoto, Yoshiharu Kimura, Kohei Oda: A bacterium that degrades and assimilates poly(ethylene terephthalate). In: Science. 351, Nr. 6278, 11. März 2016, S. 1196–1199, doi:10.1126/science.aad6359.

Ich freue mich über Fragen und Kommentare!

 


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Autor: Susanne Thiele

Biologin und Wissenschaftsautorin aus Braunschweig www.susanne-thiele.de

7 thoughts on “Lecker Plastik für Bakterien

  1. Ich finde das Bakterium Ideonella Sakaiensis sehr interessant und bereite gerannt ein Referat für meine Ausbildung vor.
    Danke für die Infos (-:
    Gibt es eigentlich schon solche Plastik-Vernichtungs anlagen? Wenn ja, wie viele?
    LG

  2. Könnte man nicht theoretisch diese Enzyme weiterentwickeln, effizienter machen und bei größeren Lebewesen, z. B. Käfern einpflanzen und die Plastik dann fressen lassen? Die brauchen ja mehr zu essen und würden so viel mehr Plastik essen. Und diese Terephthalsäure könnte man vielleicht irgendwie nutzen?
    Wahrscheinlich ist das etwas zu einfach gedacht aber das könnte doch das Problem lösen? Ich finde das Thema extrem spannend!

    • Die Forschung interessiert sich sehr für solche Abbauprozesse. Aber wie bei allem sind solche Eingriffe in Ökosysteme auch nicht ganz unkompliziert, da es auch eine gewisse Eigendynamik gibt. Stell Dir vor, die Organismen werden sehr effiziente Plastikfresser, dann haben sie viel Futter auf diesem Planeten. Selbst in Autos ist ja Plastik verbaut. Aber Du hast recht das Szenario ist extrem spannend ! LG Susanne

  3. Pingback: Rückblick 2016 und ein Dankeschön! | Mikrobenzirkus

  4. Mal davon abgesehen, dass man Müll primär vermeiden oder recyclen sollte (selbst eine thermische Zweit-Verwertung kann ja sinnvoll sein), stellt sich mir die Frage, wie groß die Wahrscheinlichekit ist, dass solche Bakterien dann irgendwann mal die noch in Benutzung befindlchen PET-Gegenstände anknabbern?

    Dass solch ein Szenario nicht undenkbar ist, zeigen uns die Berichte in Büchern wie „Die Ameise als Tramp“ von Bernhard Kegel oder „Die Tücken der Technik“ von Edward Tenner.

    • Lieber Jürgen, Du hast absolut recht mit solchen Bedenken. Im Moment sind die Stoffwechselaktivitäten der Bakterien aber noch viel zu langsam, um uns wirklich Probleme zu bereiten. Aber unvorstellbar ist eine solche evolutionäre Anpassung sicher nicht.

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